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Lux perpetua

Titel: Lux perpetua Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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zugelassen, aber sie haben sich so darüber aufgeregt, dass sie mich zur Strafe
     ins Stift schickten. Und den Cousin haben seine Eltern zur Marienburg geschickt, zum Deutschen Orden. Sicher haben die Litauer
     diesen Schlappschwanz längst erwischt und eine Trommel aus seiner Haut gemacht. Ich kann also nicht damit rechnen, dass er
     auf einem weißen Pferd erscheint, um mich zu retten. Und deiner?«
    »Was meiner?«
    »Dein Geliebter, der berühmte Medicus, Magier und Häretiker. Wird er auf einem weißen Pferd erscheinen, um dich zu befreien?«
    »Ich weiß es nicht.«
    »Ich verstehe.« Veronika nickte. »Und wie ich das verstehe. Du hast es ja gesagt. Ein Hussit, ein Mensch, der einer Idee anhängt.
     Seinen Idealen treu ist. Zuerst und vor allem seinen Idealen. Das bedeutet, auf ein weißes Pferd brauchen wir nicht zu warten.
     Wir müssen die Sache in die eigene Hand nehmen, denn ich habe nicht die Absicht, hier bis an mein Lebensende Deckchen zu sticken,
     mir wird schon jetzt schlecht, sobald ich ein Deckchen sehe. Jutta? Hast du schon daran gedacht
. . .
«
    »Ja?«
    »Hast du schon früher an Flucht gedacht?«
    »Habe ich.«
     
    Den ersten Fluchtversuch hatte sie bereits Ende Januar unternommen. Eine ganz prosaische Sache hatte sie dazu gebracht: die
     Kälte. Sie konnte Kälte nicht ertragen, Kälte machte sie unglücklich. Im Kloster der Magdalenerinnen in Naumburg war das Kalefaktorium
     naturgemäß der einzige beheizte Raum, warm war es auch in der Küche. Jutta hatte mit Freuden die Tage begrüßt, an denen sie
     Küchendienst hatte oder im Kalefaktorium Arbeiten zur Herstellung von Pergament oder Tinte ausführen konnte. Aber das waren
     nur seltene Glücksmomente, danach musste man sofort zum Gebet zurückkehren. Undzum Wollespinnen, das in Naumburg industriell betrieben wurde; das Kloster arbeitete wie eine Manufaktur, mit Hochdruck, in
     drei Schichten. Beim Spinnen war es kalt, der Boden und die Mauern waren wie ein Eiskeller. Jutta hatte genug davon. Bei der
     ersten Gelegenheit grub sie sich in die Küchenabfälle ein, die fortgebracht werden sollten.
     
    Die Oberin schloss das Buch, in dem sie gerade gelesen hatte, es war der ›Liber de cultura hortorum‹ von Walahfrid Strabo.
    »Na, und wie fühlst du dich jetzt?«, fragte sie ohne Zorn, eher vorwurfsvoll. »Wie fühlst du dich, so aus einem Komposthaufen
     herausgefischt? War’s das wirklich wert?«
    Jutta zog ein Kohlblatt aus ihren Haaren und wischte sich das Fleisch einer fauligen Rübe vom Ohr und von der Wange. Sie hob
     kühn den Kopf. Schwester Leofortis bemerkte es.
    »Es hat keinen Sinn, mit ihr zu reden«, stellte sie fest. »Erlaubt, ehrwürdige Mutter, dass ich sie mit in den Pferdestall
     nehme. Zwanzig Rutenstreiche sollten genügen, um ihr ihre Launen auszutreiben.«
    »Überleg doch mal«, die Oberin achtete nicht auf die Nonne, »was wäre gewesen, wenn es dir gelungen wäre? Nehmen wir einmal
     an, du hättest es geschafft. In der Nacht kriechst du aus dem Abfallhaufen heraus und bist frei wie ein Vogel. Wohin gehst
     du? Du kennst doch den Weg nicht. Du fragst jemanden? Wen? Du bist ein Mädchen, allein, ohne Begleitung. Weißt du, was ein
     Mädchen ist, das allein ist und ohne Begleitung? Ein Sexspielzeug für jeden, der Lust darauf hat. Für jeden Dorfknecht, für
     jeden Bauern, für jeden Wanderer und für jede Räuberbande, wie sie sich zu Hunderten herumtreiben, bist du ein Spielzeug für
     eine lange Zeit. Für alle. Solange sie deiner nicht überdrüssig werden, solange du dich nicht wegen dem, was sie mit dir machen,
     in einen mit blauen Flecken übersäten Klumpen verwandelst, in ein sich mit Müh und Not dahinschleppendes Missgebilde mit einem
     Gesicht, das schwarz von Schlägen und Tränen ist. Hast du darüber nachgedacht,als du deine Flucht geplant hast? Hattest du ein solches Risiko einkalkuliert? Antworte, ich bin möchte es gerne wissen.«
    Jutta wandte heftig den Kopf ab, aus ihren Haaren flogen Möhrenschalen.
    »Sie ist doch blind für alles.« Anklagend wies Schwester Leofortis mit dem Finger auf sie. »Sie denkt nur an eins. An ihren
     Geliebten. Und zum Liebsten führt kein schlechter Weg.«
    »Solltest du wirklich so blind sein?« Die Oberin wandte die Augen nicht von Jutta. »Man hat mich unterrichtet, ich weiß also
     das eine oder andere über deinen Liebsten. Deine Eltern, Leute von bedeutendem Rang, werden diese Verbindung nie akzeptieren.
     Willst du in Sünde leben, ohne elterlichen

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