Lux perpetua
schön, ihre wohlgestaltete Figur konnte nicht einmal
der abscheuliche Sack, den sie hier Konversenhabit nannten, verschandeln. Kastanienfarbenes Haar ringelte sich über der Stirn
zu spitzbübischen Löckchen, und in den braunen Augen spielten schelmische Funken, die dem scheinbar besorgten Ausdruck des
angenehmen ovalen Gesichts widersprachen.Das Mädchen setzte sich auf das ihm zugewiesene Bett, das einzig freie im Dormitorium. Der Zufall wollte es, dass es das Bett
neben Juttas war. Die gerade dabei war, das Dormitorium zu fegen.
»Ich bin Veronika«, stellte sich die Neue leise vor. Und gehorsam. Den Familiennamen nicht zu benutzen, war das erste Gebot,
das den Konversen im Kloster eingehämmert wurde. Wenn dies der Kopf der Konverse nicht zuließ, kam es vor, dass man ihr das
Gebot auch über andere Körperstellen einbläute.
»Ich bin Jutta. Sei gegrüßt und mach es dir bequem.«
»Ein ordentliches Bett«, fand Veronika, die sich gesetzt hatte und ein paar Mal darauf herumhüpfte. »In Weißenfels hatte ich
ein viel schlechteres. Ich hoffe nur, dass darin niemand gestorben ist?«
»In diesem Monat? Niemand. Wenn man Kunigunde nicht mitrechnet.«
»Verdammt!« Veronika hörte auf zu hüpfen. »Woran ist sie gestorben?«
»Sie behaupten«, Jutta lächelte und verzog spöttisch den Mund, »es sei die Lunge gewesen. Aber ich denke, sie ist vor Langeweile
gestorben.«
Veronika blickte sie lange an, und in ihren Augen glitzerten Fünkchen.
»Du gefällst mir, Jutta«, sagte sie schließlich. »Ich habe Glück. Ich werde heute für die verstorbene Kunigunde beten, zum
Dank dafür, dass sie dieses Bett freigemacht hat. Habe ich es mit meiner Nachbarin zur Linken ebenso gut getroffen?«
»Wenn du Schwachköpfe magst, dann schon.«
Veronika lachte laut. Und wurde gleich wieder ernst.
»Du gefällst mir wirklich.«
»Du verlierst wirklich keine Zeit.«
»Wär ja auch schade drum«, Veronika sah ihr in die Augen, »wenn man eine verwandte Seele trifft. Das passiert schließlich
nicht jeden Tag. Cronschwitz ist nicht mein erstes Kloster. Und deins?«
»Auch nicht.«
»Andauernd Kälte«, stellte Veronika ein wenig traurig fest. »Andauernd Misstrauen und aufgestellte Stacheln. Sie sperren dich
ein, entweder erst seit Kurzem oder bereits lange.«
»In diesem Kloster«, sagte Jutta, »halten sie mich seit dem zwanzigsten Mai fest. Eine Gefangene bin ich aber schon seit Ende
Dezember letzten Jahres. Entschuldige, aber ich möchte nicht darüber sprechen.«
Die Ereignisse vom Dezember des Jahres 1428 hatten sich in Juttas Gedächtnis als eine Abfolge grausamer, aber in ihrer Bedeutung
zersplitterter Bilder eingegraben. Es hatte mit jenem Tag begonnen, als Wiehern, Schreie und der Knall des aufgesprengten
Tores die schläfrige Ruhe der Klarissen in Weißkirchen zerstört hatten. Sie war im Refektorium gewesen, als Bewaffnete dort
eindrangen, sie ergriffen und in den Hof hinausschleppten. Hier setzten die Bilder ein.
Reynevan in Fesseln, sich unter den Griffen der Knechte aufbäumend. Die Äbtissin mit zerschlagenem, blutigem Mund, ihre Bücher,
ihr ganzer Stolz, in einem gewaltigen Haufen vom Feuer verzehrt. Weinende Nonnen und Konversen.
Dann Münsterberg, die ihr wohlbekannte Stadt, die ihr vertraute Burg, der ihr bekannte Rittersaal. Der ihr wohlbekannte Johann
von Münsterberg, wie immer modisch gekleidet, einen bestickten Lendner,
mi-parti
und
poulaines
mit langen Schnäbeln tragend. Johann von Münsterberg, als Musterbeispiel und Idealbild eines Ritters gepriesen, einst so edel
ihrer Mutter gegenüber, so großzügig ihrem Vater gegenüber, und auch sie selbst hatte er einst mit artigen Komplimenten bedacht.
Und plötzlich hatte ihr dieses Ideal der Ritterschaft mit Schaum vor dem Mund die Kleider heruntergerissen, sie vor allen
im Saal anwesenden Männern entblößt und ihre Rundungen berührt, ihr brutal mit Schändung und Folter gedroht. All das, um Reynevan,
ihren Liebsten, ihren Geliebten, ihren Aucassin, ihren Lancelot, ihren Tristan zu erpressen und zu bedrohen, der dasalles mitansehen musste, mit verzerrtem Gesicht, bleich wie der Bauch eines Fisches, und mit Augen, aus denen vor Wut und
Erniedrigung jeden Moment mit Tränen vermischtes Blut zu quellen schienen. Und derselbe Reynevan, derselbe und doch irgendwie
fremd, der mit völlig fremder, bis dahin nie gehörter Stimme sich einverstanden erklärte, schreckliche, furchtbare, unwürdige,
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