Lux perpetua
Segen? Das geht doch nicht. Das ist wider Gott.«
»Ihr Liebhaber«, warf Schwester Leofortis ein, »ist ein Hussit, ein geächteter Abtrünniger. Was bedeuten der schon die Eltern,
was bedeutet ihr Gott? Ihr ist ein unstetes Leben lieber. Hauptsache, mit ihm!«
»Ist das so? Antworte! Antworte endlich, Mädchen!«
Jutta presste die Lippen zusammen.
Ludmilla Prutkow, die Oberin des Klosters der
Poenitentes sorores Beatae Mariae Magdalenae
in Naumburg, hob die Hände.
»Ich geb’s auf«, sagte sie. »Schwester Leofortis
. . .
«
»Zwanzig Rutenstreiche?«
»Brot und Wasser, eine Woche lang.«
»Etwa eine Woche nach Fastnacht kamen merkwürdige Gestalten nach Naumburg, um mich zu holen. Obwohl sie sehr einsilbig waren,
wusste ich sofort, dass es Diener jenes Mannes mit dem seltsamen Akzent waren. Sie beförderten mich ein paar Tage in einer
geschlossenen Sänfte und brachten mich dann in ein Zisterzienserinnenkloster. Wie sich später herausstellte, war es das Kloster
Marienstern in der Lausitz. Als ich sah, dass ich immer weiter weg von zu Hause war, überkammich Verzweiflung. Ich wusste, dass ich davonlaufen musste. Im
lavatorium
entdeckte ich ein Fenster mit einem losen Gitter. Es lag hoch über dem Erdboden, ich brauchte mindestens drei aneinandergeknüpfte
Bettlaken. Eine der Konversen machte einen guten Eindruck. Ich verriet ihr mein Geheimnis, sie aber
. . .
«
»Hat es sofort weitergegeben«, erriet Veronika mühelos.
Sophia von Schellenberg, die Äbtissin des Klosters in Marienstern, bekamen die Nonnen selten zu Gesicht, eigentlich nur bei
der Konventsmesse. Man sagte über sie, sie gehe vollständig darin auf, die Geschichte der Herrschaft und der Taten Kaiser
Friedrichs I. Barbarossa niederzuschreiben, die ihr Lebenswerk sei.
»Ich bin neugierig darauf, zu erfahren«, sie faltete die Hände über Skapulier und Rosenkranz, »wodurch dir unser
cenobium
derart verhasst geworden ist, dass du dich entschieden hast, zu fliehen? Durch die Arbeit bei den Karpfenteichen? Magst du
keine Karpfen? Es tut mir leid, aber das Kloster muss schließlich von etwas leben. Und außer den Fischen? Welches Unrecht
ist dir sonst noch widerfahren? Was hast du so Schreckliches bei uns hier erlebt, vor dem du Reißaus nehmen und von der hohen
Mauer herabspringen musstest? Was ist dir widerfahren, Fräulein Jutta?«
»Die Langeweile.«
»Ach, die Langeweile. Und dort hinter den Mauern, in deinem bisherigen weltlichen Leben, was gab es denn da so Aufregendes?
Womit hast du denn deine ganzen Tage angefüllt? Was hattest du denn täglich für Attraktionen? Jagden? Trinkgelage und Schlägereien?
Hasard? Turniere? Kriege? Überseereisen? Na? Inwiefern war dein bisheriges Leben unterhaltsamer als unseres hier? Was hattest
du dort, was du hier nicht hast? Was? Sticken am Stickrahmen und Spinnen am Spinnrad kannst du auch bei uns, so viel du nur
willst. Über dummes Zeug klatschen und plauschen kannst du, so viel du willst, und das sogarnoch besser als daheim, weil du intelligentere Gesellschaft hast. Was fehlt dir also, frage ich dich? Ein Mann?«
»Und wenn?«, gab sie aufmüpfig zurück. »Da muss man gar nicht erst lange suchen.«
»Oho! Also haben wir die sündigen Freuden schon kennengelernt! Und nun will man einen Mann? Je nun, damit kann es bei uns
ein Problem geben. Aber die Schwestern wissen sich schon zu helfen, wozu hat man schließlich seinen Erfindungsgeist. Ich ermuntere
sie nicht dazu, aber ich verbiete es auch nicht
. . .
«
»Ihr habt nicht verstanden, worum es mir geht. Ich liebe und werde geliebt. Jeder Moment, den ich von meinem Geliebten getrennt
bin, ist, als würde mir ein Stilett ins Herz gestoßen und in der Wunde umgedreht werden.«
»Wie?« Die Äbtissin wiegte den Kopf. »Wie? Ein Stilett ins Herz gestoßen? Und darin umgedreht? Verdammt noch mal, Mädchen!
Du hast Talent. Aus dir kann eine zweite Christine de Pisan werden oder eine zweite Hildegard von Bingen. Du kriegst Papier
und Federn, Tinte, von mir aus ein ganzes Fässchen voll, und du schreib, schreib, schreib alles auf
. . .
«
»Ich will meine Freiheit!«
»Aha. Freiheit. Gewiss auch noch grenzenlose? Wilde, anarchistische? Nach dem Vorbild der Waldenser? Oder der böhmischen Adamiten?«
»Ihr spottet vergeblich. Ich rede von Freiheit im einfachsten Sinne. Ohne Mauern und Gitter!«
»Wo willst du die denn finden? Wo können wir Frauen denn freier sein als im Kloster? Wo wir studieren
Weitere Kostenlose Bücher