Lux perpetua
über den Fanatismus.
Und auf einmal sind alle auf eine gemäßigtere Position eingeschwenkt. Der Kelch ja, Ausschreitungen nein. Hussizismus mit
menschlichem Antlitz. Schluss mit dem Krieg, Schluss mit dem Terror, weg mit den Radikalen, weg mit Prokop dem Kahlen, weg
mit den Waisen, es leben die Verhandlungen, es leben die Übereinkünfte
. . .
«
»Übereinkünfte mit wem?«
»Mit Rom selbstverständlich. Nach der Schlacht bei Taus ist Rom klüger geworden. Der päpstliche Legat Giuliano Cesarini, den
sie bei Taus geschlagen und vertrieben haben, ist klüger geworden, der Spanier Johannes von Palomar ist klüger geworden, auch
der neue Papst ist klüger geworden. Die wissen, dass sie gegen die Hussiten mit Gewalt nichts ausrichten können, daher versuchen
sie listig, Stimmungen auszunutzen, Anhänger zu gewinnen und zu verhandeln. Nachzugeben, um etwas zu gewinnen. Sie verhandeln
untereinander. Und sie werden zu einer Einigung kommen. Der Kelch wird bleiben, aber sooo klein. Glaubensfreiheit wird es
geben, aber eben nur sooo eine kleine. Extremisten und unverbesserliche Radikale wird man ausrotten, Unentschlossenen drohen.
Und es wird keinen Kompromiss geben. Verträge wird es geben. Rom wird sie inhaltlich glätten, der Papst wird sie segnen und
der neue Erzbischof von Prag sie mit Weihwasser besprengen. Die Kirche gewinnt die ihr geraubten Güter zurück. Sigismund vonLuxemburg erhält den böhmischen Thron zurück, denn einer muss ja der Garant für Erneuerung und Ordnung sein. Was wäre denn
das für eine Ordnung ohne König! Also, den Luxemburger auf den Hradschin! Er wird der Vermittler zwischen den Völkern sein
und wird für viele Völker Recht sprechen. Dann werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Messer zu Sicheln machen.
Und es wird so schön, ich kann gar nicht sagen, wie schön!«
»Es wird nicht schön werden. Dazu wird es nicht kommen. Das wäre Verrat.«
»Das wäre es. Und das wird es.«
»Werden das, deiner Meinung nach, die Leute zulassen, die fünf Kreuzfahrerheere besiegt und in die Flucht geschlagen haben?
Die Sieger von Vítkov, Vyšehrad, Sudoměř, Mallschau, Aussig, Tachau und Taus? Das böhmische Volk, das dem Kelch treu ergeben
ist, wird es das zulassen?«
»Das böhmische Volk zahlt heute für ein Maß Roggen vierunddreißig Groschen und für ein Brot anderthalb. Vor der Revolution
kostete der Roggen zwei Groschen und das Brot ein Spottgeld. So viel kriegt das böhmische Volk vom Kelch und vom Krieg. Reynevan,
ich will keinen Streit. Ich versuche, dir in verständlichen Worten die aktuelle politische Situation klarzumachen, und habe
die zukünftige politische Entwicklung skizziert, mit einem hohen Wahrscheinlichkeitsgrad auch die Ereignisse der kommenden
Monate, wenn nicht gar Tage voraussehend. Im Gefängnis verliert man den Kontakt mit der Realität, ich weiß es doch selbst,
manchmal sogar für eine lange Zeit. Der kommt nach und nach wieder, aber diesen Prozess muss man nicht erzwingen. Erzwinge
ihn also nicht. Verlass dich auf mich, vertrau mir.«
»Genauer?«
»Eine halbe Meile von hier ist eine Wegkreuzung. Lass uns dort in Richtung Süden reiten, auf der Straße nach Olkusz, Zator
und Teschen. Wir gehen über den Jablunka-Pass und von dort aus immer geradeaus. Čadca, Trečín, Nitra, Esztergom,Buda, Mohacz, Belgrad. Sofia, Philippopolis, Adrianopel. Und Konstantinopel. Die Perle des Byzantinischen Reiches.«
»Und du wirfst mir mangelnden Kontakt mit der Realität vor?«
»Meine Pläne sind so konkret, dass es fast wehtut. Sie halten sich so verzweifelt an der Realität fest wie der Pfarrer an
seiner Pfründe. Und sie stützen sich auf reale ökonomische Mittel, über die ich verfüge. Komm mit mir, Reinmar, und ich schwöre
dir bei meinem alten Pimmel, noch vor Advent wirst du das Marmarameer, das Goldene Horn, die Hagia Sophia und den Bosporus
sehen. Wie ist es? Reiten wir los?«
»Nein, Scharley, wir reiten nicht los. Verzeih mir, aber ich habe ganz andere Pläne.«
Der Demerit sah ihn lange schweigend an. Dann seufzte er.
»Ich fürchte«, sagte er schließlich, »ich weiß, was du vorhast.«
»Dann ist es gut.«
»Im März 1430, in den Wäldern an der Klodnitz, hast du zu mir gesagt, als du fortgingst, du hättest genug.« Scharley trat
zu ihm und fasste ihn an den Schultern. »Ehrlich gesagt, das hat mich überhaupt nicht gewundert. Und, wie du dich wohl erinnerst,
ich habe dich nicht
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