Lux perpetua
übernommen. Und er ist dir, wie du sicher weißt, sehr
freundschaftlich gesinnt. Kennst du einen besonderen Grund dafür?«
»Sogar zwei. Zwei weiche Schanker, an einer für einen verheirateten Mann sehr unangenehmen und empfindlichen Stelle. Ich habe
ihn mit einer magischen Salbe geheilt.«
»Großer Gott.« Scharley blickte zum Himmel empor. »Es erfreut das Herz, wenn man sieht, dass es noch Dankbarkeit auf dieser
Welt gibt. Es genügt wohl, wenn ich dir sage, dass ausgerechnet er uns gesandt hat, dir zu helfen. Reitet nach Eulenberg und
Šumperk, hat er gesagt, befreit Reynevan, hat er gesagt, bevor sie ihn nach Prag bringen. Prag ist nicht gut für ihn. Was
auch immer da mit Reynevan gewesen ist, es ist vorbei, hat er gesagt. Herr Neplach war teuflisch wütend auf ihn, hat er gesagt,
aber Herr Neplach ist tot. Ich habe mit der ganzen Angelegenheit nichts zu tun, hat er gesagt, und wenn Ryenevan verschwindet,
dann wird mit der Zeit auch keiner mehr davon reden. Soll also der Medicus besser verschwinden, soll er ziehen,wohin er mag. Wenn er schuldig ist, wird Gott ihn richten, wenn er unschuldig ist, wird Gott ihm helfen. Er ist ein anständiger
Kerl.«
»Gott?«
»Nein. Hašek Sykora. Genug geschwatzt, Junge. Gib deinem Pferd die Sporen. Sieh mal, wie weit Samson schon vorausgeprescht
ist. Wir bleiben viel zu weit hinter ihm zurück.« »Wohin will er denn so eilig?«
»Nicht wohin, sondern zu wem. Du wirst schon sehen.«
Das sich durch Hundegebell und den Geruch von Rauch ankündigende Anwesen lag hinter einem Birkenwäldchen und einer dichten
Schwarzdornhecke verborgen, hinter der sich das Strohdach der Scheune erhob. Hinter der Scheune befanden sich ein Schuppen
und ein Speicher mit einem Reetdach, eine mit Holzstangen eingezäunte Koppel und dahinter ein Garten, voll mit ausladenden
Pflaumen- und Apfelbäumen, noch weiter hinten der Hof, ein weißer Taubenschlag, ein Ziehbrunnen. Und das Haus. Ein großes
Haus, auf feste Grundmauern gestellt, mit Schindeln gedeckt und mit einer von Balken gestützten Veranda geschmückt.
Kaum waren sie auf den Hof geritten, als auch schon eine junge Frau die Stufen der Veranda heruntersprang. Reynevan erkannte
sie, noch bevor das im Laufen nach hinten rutschende Kopftuch ihre dichten roten Haare freigab. Er hatte sie daran erkannt,
wie sie sich bewegte, und sie bewegte sich, als tanze sie, schwebe, wie es schien, ohne dabei den Boden zu berühren, eine
veritable Nymphe, eine Najade oder eine andere unirdische Erscheinung. Ein schlichtes graues Kleid umschmeichelte ihren Körper
und erinnerte an jene fließenden Phantasiegewänder, mit denen Künstler die erotischen Körper ihrer Madonnen und Göttinnen
auf Fresken, Gemälden und Miniaturen, der Schicklichkeit wie auch der Komposition wegen, verhüllten.
Marketka hatte Samson erreicht, der Riese glitt aus dem Satteldirekt in ihre Arme. Er befreite sich daraus, hob das Mädchen wie eine Feder empor und küsste es.
»Ergreifend.« Scharley zwinkerte Reynevan beim Absitzen zu. »Einen halben Tag haben sie sich nicht gesehen. Wie du siehst,
bringt die Sehnsucht sie beinahe um. Was für eine Freude, ein Wiedersehen nach so langer Zeit.«
»Du, Scharley«, meinte Reynevan, »hast wohl nie begriffen, was Liebe
. . .
«
Er verstummte. Aus der mit Gras gedeckten Laube im Garten trat eine weitere Vertreterin des schönen Geschlechts. Entwickelter.
Von Erscheinung, Anmut und in jedem Zoll, würde man meinen. Eine Galathea oder Amphytrite, dem Gesicht und der Figur nach,
eine Pomona oder Ceres, dem Korb mit Äpfeln und Kohl nach, den sie bei sich trug, zu schließen.
»Hast du was gesagt?«, fragte Scharley mit Unschuldsmiene.
»Nein. Nichts.«
»Wie ich mich freue, dich wiederzusehen, Junker Reynevan«, sagte Frau Blažena Pospichalova, seinerzeit Besitzerin des Hauses
an der Ecke St.-Stephans-Gasse und Fischteichgässchen in der Prager Neustadt. »Beeilt euch, ihr Herren, beeilt euch. Das Mittagessen
steht gleich auf dem Tisch!«
»Der Frühling kommt«, stellte Reynevan fest, während er an Scharleys Seite am aufgeweichten Feldrain entlangging. Von den
kahlen Bäumen tropfte es. Es roch nach feuchter Erde. Und nach Moder.
»Nach Prag bin ich im Spätherbst des letzten Jahres gekommen, nach dem Feldzug nach Österreich«, berichtete Scharley. »Ich
habe den Winter bei Samson verbracht. In Prag war es noch nie sonderlich ruhig, aber jetzt, zum Frühjahr hin, ist
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