Luzie & Leander - 04 - Verblüffend stürmisch
gefolgt von dem Drang, weglaufen zu müssen. Ich war noch nie mit Serdan allein gewesen, jedenfalls nicht so lange wie jetzt. Wir würden die Nacht miteinander verbringen, in der ländlichen Einsamkeit auf einem Heuboden, weit weg vom nächsten Dorf und damit auch weit weg von anderen Menschen. Vor wenigen Wochen noch hatte er gestanden, dass er mich gerne küssen würde. Er hatte nicht damit angefangen, als es schließlich am letzten Abend geschehen war, sondern ich, obwohl ich eigentlich Seppo küssen wollte … oder Leander? Aber vielleicht dachte Serdan, dass es für mich keine Rolle spielte, in wen ich verknallt war und in wen nicht. Ehrlich gesagt hatte es für mich an diesem Abend tatsächlich keine Rolle gespielt – aber nur, weil ich es nicht mehr wusste, und irgendwie wusste ich es selbst heute noch nicht … Trotzdem bedeutete das nicht, dass man alles mit mir machen konnte.
Serdan zeigte auf meinen Oberkörper. Ich schluckte, als mir sein Blick auffiel. Er starrte auf meine Haut, auf meine nackten Arme und Schultern, auf meinen Ausschnitt …
»Hast du da was drunter?«, fragte er sachlich. Ich ließ das Croissant fallen.
»Was?«
»Ob du unter deinem Tanktop was drunter hast!?«, wiederholte er leicht gereizt.
»Nein.« Auf einmal war meine Kehle wieder trocken, obwohl ich eben fast die ganze Wasserflasche leer getrunken hatte.
»Dann musst du die Träger über die Schultern streifen«, erwiderte Serdan und rückte ein Stück näher. »Mach schon, Katz …«
»Fass mich nicht an!«, fauchte ich und schlug seine Hand weg. »Serdan, ich warne dich, ich schrei so laut, bis mich jemand hört …«
»Sag mal, hast du den Verstand verloren?« Serdan stand auf und verschränkte die Arme. Wieder blitzten seine Augen. Doch wenn hier einer sauer sein durfte, dann war das ja wohl ich. Serdan sah das anders. »Du Zicke!«, fuhr er mich an. »Gut, okay, warte einfach, bis die Blasen aufplatzen und das Stroh dran festklebt, das kommt bestimmt gut …«
»Hä?« Ich ließ meinen erhobenen Arm sinken. Auf einmal kam ich mir ziemlich dämlich vor. Und ich verstand genau gar nichts.
»Da!« Serdan griff in seinen Rucksack und holte den Quark heraus. »Gut gegen Sonnenbrand. Probier doch mal, ob du mit deinen Händen auf deinen Rücken kommst. Bist ja beweglich, oder?«
»Du hast eine Scheißlaune, weißt du das?«, gab ich zurück, allerdings etwas kleinlauter als zuvor.
»Ja, die hab ich! Und wie ich die habe! Ich wollte heute eigentlich nur Fußball gucken, ganz normal. Dann rufst du bei mir an, drehst durch und nur wenige Stunden später hab ich fast alle Türkenklischees erfüllt, die es gibt. Ich bin abgehauen, hab ein Mädchen entführt, geklaut und stinken tu ich auch noch.«
»Du stinkst nicht«, entgegnete ich höflich. Serdan sah mich drohend an. »Na ja, nicht schlimm jedenfalls. Ein bisschen. Kein Wunder bei der Hitze. Ich rieche bestimmt auch nicht besonders gut.«
»Du siehst vor allem beschissen aus.«
»Danke«, sagte ich kühl. »Ich fühle mich auch so.«
Serdan schob die Lippen zusammen. Versuchte er, sich ein Grinsen zu verkneifen? Ach, wenn er nur besser zu durchschauen wäre, dachte ich mutlos. Bei Leander wusste ich immer, wie es um ihn bestellt war – es sei denn, er hatte einen seiner ernsten Momente. Dann war selbst Leander ein einziges Rätsel.
»Mein Vater wird mich killen«, fuhr Serdan nach einer kleinen Pause fort. »Der killt mit Blicken, weißt du? Der sagt nix und schimpft nicht, der guckt mich nur an und dann … ach …« Serdan fummelte an der Quarkpackung herum. »Er hat mir immer eingetrichtert, den Leuten keine Chance für ihre Vorurteile zu lassen. Ich soll nicht sprechen wie ein Türke, ich soll immer ehrlich sein, ich soll gute Noten schreiben, keine frauenfeindlichen Sprüche reißen, ordentlich angezogen sein und vor allem keine krummen Dinger drehen … und jetzt …« Er brach ab und schüttelte den Kopf. »Der war schon so enttäuscht wegen dem Parkour. Nicht weil ich das mache, das hat er irgendwie verstanden. Sondern weil ich ihm nix davon erzählt und ein Mädchen mit reingezogen hab.«
»Du hast mich nicht reingezogen«, widersprach ich. »Ich hab wegen Seppo damit angefangen. Ich hab ihn beobachtet und wollte es auch tun.«
»Ja, aber mein Dad meint, ich hätte das nicht zulassen dürfen.«
»Okay, und das ist dann nicht frauenfeindlich? Warum soll ein Mädchen denn kein Parkour machen?«, fragte ich angriffslustig.
Serdan hob fast unmerklich die
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