Luzie & Leander - 04 - Verblüffend stürmisch
erbost. »Mir ist egal, wie viele Haare Johnny Depp an welcher Stelle hat, aber ich muss zu ihm, es ist wichtig!«
»Ja, natürlich«, sagte Serdan trocken. »Ihr Mädels habt doch alle einen Dachschaden. Na, wenigstens schwärmst du für einen guten Schauspieler und nicht für diesen Softie … der den Vampir spielt … Namen vergessen …«
»Nein.« Ich schüttelte weinend den Kopf. »So ist es nicht. Das verstehst du nicht.«
»Ja, das sagt meine Schwester auch immer.« Serdan verstellte die Stimme. »›Das verstehst du nicht! Das verstehst du einfach nicht, Serdan!‹«
»Scheiße«, murmelte ich und legte mich wie vorhin ausgestreckt auf den Boden. »Ich kann dir das nicht besser erklären, ehrlich nicht …«
Serdan schwieg eine Weile, in der er mich unablässig ansah. Es war seltsam, so wehrlos am Boden zu liegen und sich von jemandem ansehen zu lassen. Von jemandem, den ich schon einmal geküsst hatte … Langsam verschwanden der Spott und der Ärger aus Serdans Zügen. Nun schaute er nur noch ernst und ratlos. Ich wollte meinen Kopf wegdrehen, doch er kniete sich neben mich, nahm mein Kinn zwischen seine Finger und hielt es fest.
»Du spinnst, Luzie«, sagte er schließlich leise. »Du spinnst total. Du hättest hier abkratzen können. Außerdem haben deine Eltern bei uns angerufen, bevor ich abgehauen bin. Die suchen dich.«
»Ich weiß«, entgegnete ich ebenso leise. »Und ich weiß auch, dass du mich für verrückt halten musst. Aber bitte, bitte hilf mir. Ich brauch dich jetzt.«
»Nee, Katz. Was du brauchst, ist was zu essen und Autan und irgendeine Salbe gegen deinen Sonnenbrand. Und dann musst du deine Eltern anrufen.«
»Kann ich nicht. Mein Akku ist leer und meine Guthabenkarte auch.«
Serdan griff wortlos in seine Hosentasche und reichte mir sein Handy. Ich schüttelte stur den Kopf, ohne es anzurühren.
»Nein. Das geht nicht. Wenn die wissen, wo ich bin, kann ich nicht zu Johnny …«
»Okay, Schluss jetzt mit dem Mist. Wir fahren in einen Supermarkt. Du bist ja nicht mehr ganz sauber im Kopf!« Serdan zog mich hoch, schleppte mich zum Mofa und begann an den beiden Kabeln herumzufummeln, die im Zündschloss steckten.
»Was machst du da?«, fragte ich dümmlich.
»Die Maschine kurzschließen, was denn sonst? Oder meinst du, ich schaffe es mit meiner lahmen Kiste in fünf Stunden bis in die Vogesen? Nee, Katz, ich bin getrampt, und als keiner mehr die Türkensau mitnehmen wollte, hab ich aus einem Hof ein Moped geklaut.« Knatternd sprang die Maschine an. Deshalb also trug er keinen Helm, es war gar nicht sein eigenes Mofa. Serdan schwang sich auf den Sattel und bedeutete mir harsch, mich hinter ihn zu setzen. Holpernd ratterten wir über den Weg, bis wir an die Straße gelangten. Dort zog Serdan seine Baseballkappe ab und stülpte sie mir über den Kopf.
Ich wagte es nicht, mich an ihn zu lehnen. Ich schob nur meine Daumen durch seine Gürtelschlaufen und hoffte, dass ich trotz Hitzschlag und Sonnenstich und Beinaheverdursten noch genügend Gleichgewichtssinn besaß, um nicht zu stürzen. Erst nach drei Dörfern fanden wir einen kleinen Gemischtwarenladen, der noch geöffnet hatte. Durch die Schaufensterscheibe sah ich einen dicken Mann hinter der Kasse sitzen, der auf einen laufenden Fernseher glotzte. Fußball wahrscheinlich.
»Du wartest hier draußen, okay?«, entschied Serdan, nachdem er die Maschine am Straßenrand geparkt hatte und wir abgestiegen waren.
»Aber da drinnen ist es bestimmt kühl …«
Serdan zuckte nur mit den Schultern und winkte ab. Oje, war der genervt. Taumelnd folgte ich ihm. Ohne auch nur ein Wort miteinander zu wechseln, nahmen wir ein metallenes Einkaufskörbchen und legten zwei Wasserflaschen, Insektenschutzmittel, eine Tüte trockene Croissants und Kaugummis in den Korb. Serdan machte noch einen Abstecher zur Kühltheke und angelte sich ein Päckchen Quark aus dem Regal.
»Quark?«, fragte ich rätselnd. Doch er antwortete nicht. Schweigend trottete ich ihm in Richtung Kasse hinterher und prallte plötzlich gegen seine ausgestreckte Hand.
»Verschwinde!«, zischte er. »Raus! Sofort!«
»Aber …«
»Tu, was ich dir sage! Geh nach draußen, und zwar schnell! Du bist im Fernsehen!«
Nun sah ich es auch. Mein Gesicht prangte auf dem Bildschirm – ja, es war das Foto aus meinem Schülerausweis; wahrscheinlich weil es sonst nur Fotos von mir gab, auf denen ich Blödsinn machte. Auch auf diesem Foto grinste ich in die Kamera, die Haare gewohnt
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