Luzie & Leander - 04 - Verblüffend stürmisch
irgendeinen blöden Voodoozauber vollführt. Andererseits würde Mama es niemals sehen können, wenn Leander und ich mein Bett teilten. Ein unschlagbares Plus. Denn das war jetzt ja schon insgesamt vier Mal geschehen, falls ich richtig gezählt hatte. Also konnte Mama auch nicht an die Decke gehen und ein Drama veranstalten, wie sie es hundertprozentig tun würde, wenn sie es sehen könnte.
Aber meine Eltern waren weit weg und Serdan hatte schon länger keinen Wächter mehr. Wir waren ganz allein. Ich blieb faul im Heu liegen und öffnete erst nach einigen ruhigen, entspannten Atemzügen die Augen. Serdan war nicht mehr neben mir. Er stand gegen einen Balken gestützt am Rand des Heubodens und blickte hinaus aufs Land, die Hand über den Augen, um sich vor der Sonne zu schützen – fast wie ein Kapitän an Bord eines Schiffes. Nun bemerkte er, dass ich wach war, und drehte sich um.
»Morgen«, sagte ich und setzte mich auf. Serdan kam zu mir herüber, ohne meinen Gruß zu erwidern, und warf mir sein Handy in den Schoß.
»Ruf deine Eltern an.«
»Kannst du mich nicht erst mal wach werden lassen?« Trotzig fegte ich das Handy von meinen strohbedeckten Knien.
»Du bist doch wach. Ruf deine Eltern an, Katz, ich meine es ernst …«
»Kann ich nicht!«, giftete ich.
»Hör mal, ich hatte fast dreißig Anrufe in Abwesenheit, von meinen Eltern, und ich hab keine Lust, die Kacke allein auszubaden, also sag deinen Bescheid, dass du noch lebst. Dann sagen die es meinen und …«
»Ich kann es nicht! Verstehst du kein Deutsch mehr, oder was? Ich weiß Mamas Handynummer nicht auswendig. Und mein Handy kriege ich nicht mehr an. Akku leer.« Das war nicht geflunkert, sondern sogar die Wahrheit, obwohl ich Serdans Idee völlig beknackt fand.
Ich wollte noch immer zu Johnny Depp in den Süden, daran hatte sich nichts geändert, und im Notfall würde ich es allein durchziehen. Konnte ich das denn? Ich schielte auf unsere kargen Vorräte. Die Wasserflaschen waren fast leer und wir besaßen nur noch ein halbes Croissant und zwei Kaugummis. Weit würde ich damit nicht kommen. Und ich hatte immerhin eine längere Reise vor mir.
Serdan bemerkte meinen Blick und schnappte sich das Handy.
»Gut, dann rufe ich eben meine Eltern an und sag ihnen …«
Ehe er zu Ende reden konnte, hatte ich mich auf ihn gestürzt und versuchte kratzend und beißend, in Besitz des Handys zu gelangen. Doch Serdan hielt es eisern fest, ohne sich zu regen oder zu wehren. Aufgebracht hieb ich ihm meine Faust in die Rippen. Er zuckte zusammen und stieß keuchend die Luft aus, umklammerte das Handy aber weiterhin. Noch einmal biss ich zu, dieses Mal in seinen Unterarm, da, wo es besonders wehtat. Serdan packte meinen Kopf mit seiner freien Hand und zog so fest an meinen Haaren, dass ich laut aufjaulte.
»Wenn du anrufst und denen sagst, wo ich bin, dann bist du für mich nichts anderes als ein mieser Verräter! Nie wieder werde ich ein Wort mit dir sprechen!«, schrie ich, weil ich spürte, dass ich keine Chance gegen ihn hatte.
Es kam – wie fast immer – keine Antwort. Doch Serdan lockerte seinen Griff und ich konnte das Handy aus seinen Fingern klauben und in meine hintere Hosentasche stopfen. Er würde mir ja wohl kaum am Hintern herumfummeln, um es zurückzuerobern.
»Ich kann auch die nächste Telefonzelle benutzen, Luzie. Ich kenne die Nummer von meinen Eltern auswendig. Kein Problem«, sagte Serdan ungerührt und rieb sich die Bissspuren an seinem Arm. Meine Spucke glänzte feucht auf seiner dunklen Haut. Ich pustete züngelnd ein Haar aus, das zwischen meinen Zähnen stecken geblieben war.
»Serdan, bitte nicht anrufen. Bitte!« Ich musste mich zusammennehmen, um nicht vor ihm auf die Knie zu fallen und ihn anzubetteln. Ich fühlte mich so hilflos. »Außerdem können die sich jetzt doch denken, dass wir irgendwo zu zweit unterwegs sind. Kann ja kein Zufall sein, dass erst ich abhaue und dann du …«
»Ja, aber es könnte genauso gut sein, dass sie denken, ich bin in dich verliebt und habe mich auf eigene Faust nach Frankreich aufgemacht, um dich zu suchen. Das heißt noch lange nicht, dass alles in Ordnung ist und du lebst! Mensch, Katz, wir können das nicht bringen, das geht nicht, erst die Sache mit dem Parkour und dann das. Willst du Hausarrest haben, bis wir achtzehn sind?«
So war das immer. Wenn Serdan mal den Mund aufmachte und sich zu mehreren Sätzen am Stück durchrang, kamen nur sinnvolle Sachen heraus. So sinnvoll, dass
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