Luzifers Geliebte (Geschichtentrilogie Band 2 Fantastische Geschichten)
Stille erschreckten. Die Leute torkelten von ihren Anwesen, tuschelten und waren wie gelähmt. Sie konnten nicht fassen, was geschehen war. So etwas Schreckliches gab es in diesem stillen, friedlichen Ort noch nie.
"Die Nachbarsfrau, das Flittchen", sagte eine Frau, "hat ihren Liebhaber erschossen."
"Er ist schon lange fremd gegangen", sagte eine andere.
"Und zum Schein", sagte die erste, "es sollte wie Notwehr aussehen, hat sie sich selbst in den Arm geschossen."
"Alles Quatsch. Der Kerl hat sie wieder verprügelt. Da ist sie durchgedreht."
"Immer wieder das Gleiche."
"Ja, Eifersucht."
"Seine Geliebte wohnt nebenan. Eine Deutsche", brachte es ein Mann auf den Punkt und winkte einem Polizisten, der den Weg für Polizei und Krankenauto frei machte. Die Helfer stiegen aus und ein Pfleger bettete das Flittchen auf eine Trage, hüllte es in eine Decke und ließ den Kopf frei. Ein Polizist steckte unseren Liebhaber in einen schwarzen Sack, zog den Reißverschluss über seinen Kopf und legte ihn auf eine Bahre. So fuhren sie den Berg hinab. Gehüllt in dichte Staubwolken.
Fortan wurde das Mörderhaus gemieden wie die Pest. Es wurde versiegelt. Niemand wagte sich hinein. Niemand kümmerte sich um die Hühner, die qualvoll starben unter der sengenden Sonne. Nur ich hatte Mitleid und hangelte manchmal einen Topf Wasser über den hohen Zaun, steckte eine Hand voll Gras durch die Latten. Doch es half nichts. Eines Tages waren auch die letzten Hühner verendet. Und als kein Leben mehr in dem Haus war, wagte ich mich hinein. Ich wollte das Haus kennen lernen, in dem mich meine kleine Liebe betrogen und mit seinem Leben bezahlt hatte.
Mein Herz klopfte laut und meine Beine zitterten etwas, als ich mich durch ein Fenster zu ebener Erde zwängte und gleich darauf in einem halbdunklen Raum befand. Meine Augen brauchten etwas Zeit, sich an das Dämmerlicht zu gewöhnen, denn draußen brannte die Sonne.
An der Wand, mir gegenüber, gewahrte ich eine Liege, über der eine graue Decke lag. Wie hypnotisiert starrte ich darauf und wusste im selben Augenblick: Hier stimmt etwas nicht. Mir war, als würde sich die Decke langsam verschieben. Einige der grauen Fransen, die zottelig herunterhingen, bewegten sich.
Das konnte nicht sein.
Bestimmt narrte mich meine Fantasie. Doch halt, nein, jetzt öffnete sich der Bettkasten. Nur einen Spalt. Eine Hand versuchte, die Matratze hochzustemmen. Es gelang ihr nicht. Wie von Geisterhand gezogen, zog sie sich wieder zurück. Der Bettkasten klappte zu.
Erleichtert atmete ich durch. Eine Sinnestäuschung. Na, also. Weiter. Doch sofort erstarrte ich wieder. Der Bettkasten hatte sich erneut geöffnet. Die Geisterhand erschien. Krampfhaft umschloss sie einen Wust grau schmutziger Fransen. Entgeistert starrte ich wieder darauf. Diese Hand. Irgendetwas war mit ihr. Blitzartig fiel es mir ein. Ich kannte sie. Auch den Ring am kleinen Finger dieser seltsam weißen Geisterhand.
„Justys Hand!“, schrie ich in die Dunkelheit.
Wie von Furien gejagt, hetzte ich bei dieser Erkenntnis davon.
Nach einiger Zeit gelangte ich in ein helles, weiß gefliestes Bad. Blieb erschöpft regungslos an der Tür stehen, presste eine Hand auf mein wild schlagendes Herz, um es etwas zu beruhigen. Doch im nächsten Augenblick drohte es, stillzustehen. Oh, Gott. Was war denn das?
Entsetzt sah ich an mir hinunter, streckte meine Arme von mir, betastete dann meinen Körper, griff in mein Haar, starrte zur Decke. Und von dort kam es. Das Blut.
In langen, gleichmäßigen Fäden regnete es Blut von der Badezimmerdecke. Regnete und regnete. Blutfäden. Unaufhörlich.
Bald schon stand ich in einem Meer von Blut. Völlig erstarrt.
‚Du musst hier raus‘, war mein einziger Gedanke, ‚raus, bevor du in diesem Blutmeer ersäufst.‘
Panik erfasste mich. Gewaltsam löste ich mich von mir, rannte weiter. Gelangte in ein anderes Bad. Und auch hier strömte das Blut auf mich hernieder, bis es mich ganz umhüllt hatte. Verzweifelt versuchte ich, die Blutfäden, die mich einschlossen, wie ein Kokon die Raupe, zu entwirren. Es gelang mir nicht. Ich kam mir vor, wie eine Spinne, die im eigenen Netz nicht den richtigen Faden findet. Ich fiel hin, stand mühsam auf, fiel wieder hin, fand nicht heraus.
Irgendwann hatte ich es dann geschafft. Doch ich war am Ende. Hatte keine Nerven mehr. Gefangen in einem Blutfadenmeer, schluchzte ich verzweifelt vor mich hin. Und eine Angst, die ich nie zuvor empfunden, schnürte mir
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