Luzifers Hammer
nur denken ließ, und alle möglichen Pflanzen. Gerste, Zwiebeln, wildes Getreide, das entlang der Gräben an den Straßen wuchs, überhaupt alles. Saatgut war knapp – noch schwerer fiel jedoch die Entscheidung: für später oder für den sofortigen Verzehr anbauen?
»Wie Zwangsarbeit«, knurrte Mark.
Harvey schwang den Hammer. Der Hammer ging auf den Stahlkeil nieder, und der Fels ließ sich hübsch spalten. Das war ein gutes Gefühl, und Harvey vergaß fast seinen knurrenden Magen. Schwerarbeit und nicht genug zu essen. Die Leute des Senators hatten einen Speiseplan aufgestellt, soundsoviel Kalorien für soundsoviel Schwerarbeit, und überall war nachzulesen, daß sie richtig gerechnet hatten, doch Harveys Magen war entschieden anderer Meinung.
»Aus groß mach klein«, sagte Mark. »Eine verteufelte Arbeit für einen Coproduzenten.« Er packte den Felsen, den sie gespaltet hatten, am einen Ende, während Harvey das andere Ende hochhievte. Sie arbeiteten zusammen, das bedurfte keiner Worte. Sie trugen den Felsbrocken zur Mauer. Harvey beäugte das Bauwerk mit geübtem Blick und wies auf eine Stelle. Der Felsen paßte genau an jenen Platz, den er ausgesucht hatte.
Dann gingen sie, um einen weiteren Stein zu holen.
Sekundenlang standen sie da und legten eine Pause ein, und Harveys Blick glitt über das Feld, wo ein Dutzend Männer andere Steine spalteten und diese zur Mauer schleppten. Das war ein Anblick wie vor hundert Jahren. »lohn Adams«, sagte Harvey.
»Wie?« fragte Mark und machte eine auffordernde Geste. Geschichten trugen dazu bei, die Arbeit zu erleichtern.
»Der zweite Präsident der Vereinigten Staaten.« Harvey trieb den Keil in einen dünnen Felsspalt. »Er ging nach Harvard. Sein Vater verkaufte ein Grundstück, das ›Der steinige Hektan‹ genannt wurde, um das Studium zu bezahlen. Adams war Rechtsanwalt und wenig dazu geeignet, Steine vom Feld zu schaffen.«
»Ein smarter Mann«, sagte Mark. Er hielt den Keil fest, während Harvey den Hammer schwang. »Von Harvard ist nicht viel übriggeblieben.«
»Nein.« Harvard war hin, und Braintree/Massachusetts und die Vereinigten Staaten von Amerika nebst dem größten Teil der übrigen Welt. Werden unsere Kinder noch Geschichte lernen?
Aber sie werden wohl müssen, dachte Harvey. Eines Tages werden wir dies hier alles ausgraben, und es wird die Zeit kommen, wo es von Bedeutung ist, ob wir einen König oder einen Präsidenten haben, und wir müssen es jetzt und heute tun, damit wir diesen verdammten Planeten loskriegen, bevor der nächste Hammer fällt. Eines Tages werden wir in der Lage sein, uns der Geschichte zu erfreuen. Dann werden wir über England reden wie einst über Atlantis …
»He!« sagte Mark. »Schau dir das mal an!«
Harvey drehte sich noch rechtzeitig um, damit er sehen konnte, wie Alice Cox mit ihrem Gaul über die niedrige Mauerbrüstung hinwegsetzte. Sie schien mit dem Pferd verwachsen, und wieder tauchte dieses Bild von einem Kentauren in ihm auf.
Harvey wurde an die Zeit erinnert, da er zum ersten Mal auf diese Ranch gekommen war, vor undenklichen Zeiten, zu jener Zeit, da er oben auf dem Felsen gestanden und abends von interstellaren Reichen geschwärmt hatte.
Das war vor langer Zeit, in einer anderen Welt. Aber das war nicht so schlimm. Sie waren dabei, die Gegend zu säubern und die Grenzen zu kontrollieren. Niemand wurde hier vergewaltigt oder umgebracht, und wenn es auch nicht soviel zu essen gab, wie es Harvey gemocht hätte, gab es dennoch genug. Steine brechen und Mauern bauen war Schwerarbeit, aber eine ehrliche Arbeit. Hier gab es keine Frustration, keine Verkehrsstockung, keine Zeitungen voller Kriminalberichte. Diese neue und einfachere Welt hatte durchaus ihre Vorteile.
Alice Cox trottete zu ihnen hin. »Der Senator möchte Sie oben im großen Haus sehen, Mr. Randall.«
»Gut.« Harvey schleppte den Hammer zur Steinbrüstung und ließ ihn für den nächsten liegen. Er riskierte einen Blick zur Sonne, um festzustellen, wie lange es noch hell sein würde, dann rief er Mark zu. »Du kannst auch hier aufhören«, sagte er.
»Den Rest des Tages kannst du noch für die Hütte verwenden.«
»In Ordnung.« Mark winkte ihm zu und stieg dann bergan zu seinem kleinen Haus hinauf, in dem Harvey, die Hamners, Mark und Joanna und die vier Wagoners hausten. Es war gerammelt voll, und sie waren daran, irgendwelche Räume anzubauen, aber es war ein Obdach, und es gab genug zu essen. Es war ein Asyl, ein Ort, wo man
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