Lycana
Sie legte Ivy die Hand auf die Schulter und sprach einige gälische Worte. Dann trat sie wieder zurück. Ivy rief die Nebel, und für einige ewig währende Momente konnte Alisa nicht erkennen, was vor sich ging. Sie hörte nur ein Knurren und Stöhnen. Als sich der Nebel lichtete, erhoben sich Ivy und Luciano in ihrer Vampirgestalt. Alisa stieß einen Schrei der Erleichterung aus und umarmte den Nosferas, dass er ein wenig ins Straucheln geriet. Dann drückte sie Ivy an sich. »Was würden wir nur ohne dich anfangen.«
»Vielleicht versuchen, euch nicht mehr in solche Schwierigkeiten zu bringen? Das wäre ein Anfang.«
Auch Luciano bedankte sich überschwänglich, während sich Franz Leopold weiterhin abweisend gab.
»Wir müssen weiter!«, mahnte nun die Druidin. Die Stute kam den Weg entlanggetrabt, als habe sie nur auf diese Worte gewartet.
»Gut, gehen wir«, stimmte Franz Leopold zu und stellte sich an Ivys Seite, doch diese schüttelte den Kopf.
»Tara, Seymour und ich werden unseren Weg fortsetzen, Cameron und Taber begleiten euch zurück nach Aughnanure.«
Franz Leopold sah sie mit flammendem Blick an. »Nein, wir kommen mit euch. Jetzt sind wir schon so weit …«
In ihren Augen brannte ein solch verzehrendes Feuer, dass er verstummte. »Geht nun.«
Franz Leopold ballte zornig die Hände zu Fäusten, aber er versuchte nicht, ihnen zu folgen, als Taras Stute den Weg hinaufjagte und Ivy und die Wölfe ihr nachsetzten.
»Das haben wir ordentlich vermasselt«, seufzte Luciano. »Statt dass wir mit ihr gehen und sie beschützen, haben wir sie auch noch ihrer Begleiter beraubt. Hoffentlich passiert ihr nichts. Ich könnte mir das nicht verzeihen.« Mit hängendem Kopf trottete er Cameron hinterher. Taber bildete die Nachhut.
»Sie hat ja noch Seymour zu ihrem Schutz«, tröstete Alisa, die sich jedoch ebenfalls nicht wohl in ihrer Haut fühlte.
»Seymour«, stieß Franz Leopold aus und knurrte. »Diesen verschlagenen Verräter, der mit Genuss zugesehen hätte, wie sie uns zerfleischen!«
»Vermutlich hat er uns nicht erkannt«, sagte Luciano.
Alisa schwieg. Vielleicht hatte er zu Anfang wirklich nicht gewusst, wer die drei Wölfe waren, die der Spur folgten. Doch selbst als sie ihn gerufen hatte, hatte er dem Ganzen nicht sofort ein Ende bereitet, sondern zugelassen, dass Franz Leopold und Cameron weiterkämpften. Warum? Ihr Herz war schwer. Es fühlte sich an, als habe sie einen Freund verloren.
Der alte Werwolf stand vor dem Eingang zur Höhle und ließ den Blick über die Weite der nächtlichen Moorlandschaft schweifen. Er hatten den jüngeren hinter sich längst bemerkt und wusste, warum er gekommen war, doch er wollte den Augenblick der Entscheidung hinauszögern, solange es möglich war.
Hinter ihm raschelte es, dann trat der Werwolf an seine Seite und deutete flüchtig eine Verbeugung an. Allein diese Geste sagte dem alten Sippenführer mehr als jedes Wort. Einige der jungen Werwölfe waren mit seinen Entscheidungen nicht mehr zufrieden und zollten ihm nicht den Respekt, der ihm gebührte. Noch mieden sie es, ihren Groll offen zu zeigen und für jedermann erkennbar seine Befehle zu verweigern, doch der Zerfall hatte längst begonnen.
»Áthair Faolchu, Mitternacht ist vorüber«, sagte der junge Werwolf schließlich, nachdem der Führer der Sippe offenbar nicht gewillt war, ihn zum Sprechen aufzufordern.
Áthair Faolchu unterdrückte den tiefen Seufzer, der in ihm aufstieg. »Ja, Mac Gaoth, ich weiß. Ich bin durchaus in der Lage, die Zeit in den Sternen zu lesen.«
Wieder diese Verbeugung, die mehr Verachtung als Respekt ausdrückte. »Wir müssen aufbrechen. Hast nicht du uns gesagt, dass wir die Höhle in der Mitte der Nacht des finsteren Mondes verlassen?«
Ich habe eurem Drängen nachgegeben, dass sich vor dem Tag der Übergabe etwas ändern muss, dachte Áthair Faolchu. Es war nicht meine eigene Entscheidung. Vielleicht bin ich wirklich zu alt und zu schwach geworden und sollte die Geschicke der Sippe in andere Hände legen. Er sah Mac Gaoth an, dessen Augen gefährlich in der Dunkelheit blitzten. Doch wohin würden die jungen Rebellen die Sippe führen?
»Noch ehe der Mond vollständig verblasst ist und die Nacht der Leere über uns kommt, das waren deine Worte.«
Áthair Faolchu spürte, wie Zorn in ihm aufstieg. »Du musst mir meine Worte nicht wiederholen. Mein Geist ist noch nicht so vom Alter verwirrt, dass er sich nicht mehr erinnern kann, was ich gesagt
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