Lycana
den Niederungen von Sumpfgras bedeckt, doch hier sah es aus, als habe ein riesenhaftes Tier mit einem gewaltigen Prankenhieb die Flanke des Hügels aufgerissen. Eigentlich war Alisa zu empört, um mit ihren Bewachern auch nur ein Wort zu wechseln, doch die Neugier war stärker, und so ließ sie sich zu Taber zurückfallen und deutete auf das nackte Gestein.
»Das ist der Abraum der Glengowla-Mine«, sagte er brüsk.
»Ah, ich habe davon gehört. Die Menschen bauen dort Erze ab, um Metall zu gewinnen.«
»Ja, früher haben sie dem Land sein schützendes Kleid geraubt, seine Bäume gefällt und nach England verschifft, bis nur noch das Moor zurückblieb, auf dem man kaum ein paar Schafe satt bekommt. Nun schlagen sie das steinerne Herz der Insel entzwei, teilen es in Erzbrocken und Abraum und lassen diesen wie einen weggeworfenen Kadaver liegen.«
»Ivy sagt, der Marmor von Connemara ist die Seele von Irland.« Alisa lachte unsicher.
»Du verstehst es nicht?«, sagte Taber mit einem aggressiven Unterton.
Alisa hob die Schultern. »Nicht so ganz.«
»Dann will ich es dir erklären.« Taber blieb stehen und betrachtete sie nachdenklich. Seine Miene war nun freundlicher. »Jedes Lebewesen, ob Mensch oder Pflanze oder Tier, schöpft seine Kraft aus Erde und Sonne. Wir gehören zu den wenigen Wesen, die ihre Energie nicht aus der Sonne ziehen können. Stattdessen vernichtet sie uns. Umso mehr sind wir auf die Erde angewiesen. Zur Zeit der Kelten kannten die Druiden die Plätze fruchtbarer Energie und wussten sie zu nutzen. Es waren heilige Orte oder Regionen. Heute haben die Menschen vergessen, auf ihre Sinne zu hören. Aber wir schöpfen aus diesen Orten noch immer unsere Stärke, indem wir eins werden mit der Natur: Wenn wir uns in ein anderes Geschöpf verwandeln oder uns für eine Zeit lang in ihr auflösen, um gestaltenlos mit dem Wind zu reisen. Sieh das Tal hinunter, das sich nach Nordwesten windet. Hier zieht sich ein Band von Marmor und Erzen entlang bis nach Clifden an der Küste. Es reiht sich ein schmaler See an den anderen. Die Berge zu beiden Seiten sind dagegen aus Granit. Dieser Marmor aber, der hier zutage tritt, zieht seit Jahrtausenden die Energie der Umgebung an und bewahrt sie. Eine unerschöpfliche Quelle der Kraft! - Wenn die Menschen ihn nicht Stück für Stück zerschlagen und von hier wegschaffen. Ihr habt euch in Wölfe verwandelt. Ist euch das zuvor überhaupt schon einmal gelungen? Und wenn ja, dann so leicht? Ihr wart schnell wie der Wind! Seid ihr schon einmal so gelaufen, ohne zu ermüden? Dies ist die Macht, die Connemara euch schenkt!«
Alisa machte ein enttäuschtes Gesicht. »Dann war das nur hier möglich? Ja, ich habe mich gewundert und war erfreut, dass wir so rasch Fortschritte gemacht haben. Heißt das, wir werden dies an einem anderen Ort nicht wiederholen können?«
Der ältere Vampir lächelte. »Nein, das heißt es nicht. Ihr habt nun verstanden, wie es geht, und es wird euch mit jedem Mal leichter fallen. Ihr werdet lernen, auch die schwachen Energiefelder der Erde zu spüren und euch nutzbar zu machen. Aber nun komm, die anderen haben das Dorf schon fast erreicht.«
Er lief so schnell, dass Alisa ihm nicht folgen konnte, obgleich sie nie schneller gerannt war. Der Wind zerrte an ihrem Haar, und sie fühlte sich so kraftvoll und doch auch leicht, als wäre sie ein Blatt, das vom Sturmwind getrieben wird. Ein Jauchzen stieg in ihrer Kehle auf. Bald schon hatten sie die anderen wieder eingeholt.
»Ich wüsste nicht, dass es einen Grund gibt, so fröhlich zu sein«, begrüßte sie Franz Leopold mit einem Blick voller Abscheu.
Alisa schwieg. Wenn er es nicht fühlen konnte, wie sollte sie es ihm erklären?
Zurück in Aughnanure, erwartete sie erst einmal ein Strafgericht, was keinen der drei wunderte. Ärgerlich war allerdings, dass sie es auf sich nehmen mussten, ohne wirklich etwas erfahren oder erreicht zu haben.
»Da hätten wir auch hierbleiben können«, maulte Luciano.
»Immerhin ist Franz Leopold um einige Bisswunden reicher«, fügte Alisa mit einer Grimasse hinzu.
Er funkelte sie an, sagte aber nichts, da Catriona gerade seine Verletzungen inspizierte. Außer der klaffenden Beinwunde hatte er nur Kratzer, die bereits verkrustet waren. Aus der Beinwunde aber rann noch immer frisches Blut.
»Lass dir dein Bein verbinden und trinke eine zusätzliche Portion, damit es schneller heilt. Luciano, du solltest auch mehr trinken als sonst, dann wird deine Schwäche
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