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Lycana

Lycana

Titel: Lycana Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Schweikert
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massige Lady, die den ganzen Raum zu beherrschen schien, nicht so recht als junge Frau vorstellen. Dass sie sich vor nichts fürchtete und sich beherzt unter die männlichen Rebellen mischte, allerdings umso besser! Mit ihr war ihr Sohn Oscar gekommen, ein großer junger Mann mit verschleiertem Blick, der für diese Gegend viel zu gepflegt sprach und zu vornehm gekleidet war. Sein Freund Bram Stoker, der ein paar Jahre älter schien, war dagegen ganz nach Nellies Geschmack. Er wirkte kräftiger als sein Freund, hielt sich sehr gerade und strahlte eine etwas düstere Ernsthaftigkeit aus, die Nellie anzog. Irgendwelche Dramen mussten sein junges Leben verdunkelt haben, doch es war ihnen nicht gelungen, ihn zu entmutigen. Er hatte gekämpft und gesiegt. Die Narben, die zurückgeblieben waren, zeigten sich nicht auf seiner Haut, doch sie schien sie in seiner Seele spüren zu können. Der Preis für seinen Kampf war die jungenhafte Leichtigkeit gewesen, die sein unbekümmerter Freund Oscar noch besaß.
    »Du bist ein hübsches Mädchen«, schnurrte eine Stimme in ihr Ohr. »Zum Anbeißen, möchte man sagen!«
    Nellie war so in den Anblick des ernsthaften jungen Mannes versunken gewesen, dass sie die Anwesenheit des vierten Neuankömmlings für einige Augenblicke vergessen hatte. Nur mühsam konnte sie einen Aufschrei unterdrücken und sprang ein Stück zur Seite, um seinem übel riechenden Atem zu entgehen. Nellie warf ihm einen zornigen Blick zu, doch er lachte nur in sich hinein. Er genoss jede ihrer abwehrenden Reaktionen! Was war das nur für ein seltsamer Mann? Nellie hätte nicht sagen können, wie alt er war. Er schien jung und alt zugleich. Sein Haar jedenfalls war von Grau durchzogen. In verfilzten Strähnen hing es ihm über den Rücken. Einen Bart trug er allerdings nicht, und sein Gesicht war zwar sehr mager, die gräuliche Haut jedoch glatt. Er trug schmutzige Kleider, die an einigen Stellen zerrissen waren. So sahen die Bettler aus, die durch das Land zogen, aber keiner der Fischer, Hirten oder Bergarbeiter würde so herumlaufen - selbst wenn sie keine Frau zu Hause hatten, die sich um ihre Sachen kümmerte. Und noch schlimmer als seine Kleider stank er selbst. Es war eine seltsame Ausdünstung, die Nellie fremd und wild vorkam. Es war ihr, als könne sie bereits das Blut riechen, das er bei dem Aufstand vergießen wollte. Denn an seiner Meinung, dass eine Rebellion nur taugte, wenn sie mit den rechten, tödlichen Waffen ausgerüstet war, hatte er keinen Zweifel gelassen - und damit genau den wunden Punkt getroffen, den Fynn und ihr Vater immer wieder bemängelten: Sie besaßen nicht genug Waffen. Vor allem keine, mit denen man gegen die Gewehre und Kanonen der Engländer antreten konnte!
    »Eine offene Feldschlacht kommt für uns sowieso nicht infrage«, gab Lorcan dann stets zu bedenken. »Dazu sind wir zu wenige. Wir müssen im Verborgenen arbeiten, den Engländern still und leise so viel Schaden wie möglich zufügen und uns dann  im Schutz der Nacht wieder davonmachen. Diese Taktik hat sich immer schon bewährt.«
    »Als schmerzhafte Nadelstiche in ihrem Selbstbewusstsein, das ist schon richtig«, gab Myles zu. »Das sollte uns aber nicht genug sein. Wir wollen unser Land befreien! Und da kann das nur der Anfang sein, der den Boden für den großen Aufstand bereitet. Dies und die Artikel für Zeitungen und Flugblätter, die Speranza für uns verfassen wird. Das wird die Basis, um unsere Landsleute aufzurütteln. Und wenn sich das ganze Land erhebt, dann brauchen wir Waffen, mit denen wir gegen die Engländer bestehen können, denn glaubt nicht, dass Königin Victoria zu alt und zu müde ist und uns widerstandslos gehen lassen wird! Selbst wenn in ihr der Kampfgeist bereits erloschen wäre, hat sie immer noch ihre Berater und das Parlament, das einen großen Kriegszug beschließen wird! Nehmt die Sache nicht auf die leichte Schulter, sonst wird unser aller Blut umsonst vergossen.«
    Und dann war dieser Kerl aufgetaucht, der sich Mac Gaoth nannte - was war das überhaupt für ein Name? - und der von einem Waffenlager sprach, das nur unzureichend bewacht sei. Natürlich war er mit offenen Armen aufgenommen worden, obwohl Nellie sicher war, dass auch ihr Vater ihm nicht völlig traute und ihn im Auge zu behalten gedachte. Jedenfalls gefiel es Myles gar nicht, dass Mac Gaoth seinen Plan vor den Besuchern aus Dublin ausgebreitet hatte. Wie leichtfertig! Doch nun war es geschehen, und sie konnten nur hoffen,

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