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Lycana

Lycana

Titel: Lycana Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Schweikert
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noch streitend vorfinden würde oder ob sich  die Gemüter abgekühlt hatten. Er gab gerne zu, dass er hoffte, sie würden sich bei seiner Rückkehr bereits in ihre Zimmer zurückgezogen haben und er müsse ihnen erst am Morgen wieder begegnen.
    Bram war in Gedanken noch bei dem Treffen in der Hütte, bei dem seltsam hageren Mann mit dem verfilzten Haar und dem jungen Mädchen, das so tief verschreckt seine Aufmerksamkeit erregt hatte. Seine Augen huschten über die nächtliche Landschaft, bis sie plötzlich an einem mächtigen Turm hängen blieben, dessen Zinnen über die Baumwipfel am anderen Ufer des Flusses ragten. Eine etwas wackelige Brücke führte auf die andere Seite, wo es noch einen Graben und eine Zugbrücke zu geben schien. Bram Stoker vergaß die Verschwörer und die streitenden Wildes. Den Fuß bereits auf die Brücke gesetzt, blieb er stehen und versuchte, mit seinen Augen die Dunkelheit zu durchdringen. Der heisere Schrei einer Eule ließ ihn zusammenfahren. Eine Aura des Unheimlichen erfasste ihn, die ihn anzog, aber auch eine Furcht in ihm aufsteigen ließ, die ihm riet, sich davonzumachen, so schnell er nur konnte. Seine Neugier war geweckt, seine Sinne hellwach. Es kostete ihn Mühe, seinen zweiten Fuß auf die Brücke nachzuziehen. Es war ihm, als würde er von allen Seiten beobachtet. Ja, selbst vom Turm herab. Hektisch sah er sich um, konnte aber niemanden entdecken.
    Lauf, so schnell du kannst! Dies ist kein Ort für dich, wenn dir dein Leben lieb ist.
    Bram stieß einen Schrei aus und begann zu laufen. Blindlings rannte er den Weg hinunter, stolperte, rappelte sich wieder auf und lief weiter, bis die Panik verebbte. Fast ein wenig peinlich berührt blieb er stehen, um Atem zu schöpfen. Hatte er diese Worte wirklich gehört? Nein, das konnte nicht sein. Seine Fantasie hatte ihm einen Streich gespielt. Ein Stück weiter vorn machte er einen kleinen Friedhof aus. Wie um sich selbst davon zu überzeugen, dass seine Ängste unbegründet waren, ging er forschen Schrittes darauf zu. Er öffnete das Tor und trat ein. Anders als auf dem  großen Friedhof von Oughterard war hier schon lange niemand mehr beerdigt worden. Die Umfassungsmauer war an einigen Stellen eingefallen, die Gräber von Kräutern überwuchert. Nur die keltischen Kreuze mit ihren ornamentverzierten steinernen Ringen wirkten seltsam frisch, als könnten die Jahre ihnen nichts anhaben. Bram strich mit der Hand über den rauen Granit, aus dem die meisten Grabsteine und Kreuze gefertigt waren. Plötzlich hielt er inne, die Hand noch erhoben, um das Relief eines Dreiwirbels zu berühren, das keltische Symbol der Sonne. Wieder hatte er das eindringliche Gefühl, jemand würde ihn beobachten. Jemand, der nicht menschlich war.
    In seinem Nacken prickelte es und die feinen Härchen stellten sich auf. Langsam, ganz langsam wandte er sich um. Furcht und freudige Erwartung rangen miteinander, als er den Blick hob. Bram Stoker blinzelte. Seine Sinne mussten ihn täuschen. Nun lächelte das Trugbild auch noch und trat ein Stück näher
    Es war ein Mädchen von vierzehn oder fünfzehn Jahren, wenn es auch schien, als hätten ihre türkisfarbenen Augen die Ewigkeit geschaut. Ihr langes Haar, das in Locken über ihren Rücken wallte, war silbrig wie das Mondlicht, das sich heute nur ab und zu in einer schmalen Sichel zwischen den Wolken zeigte.
    »Was bist du? Eine Nachtfee?«, fragte er entgeistert. Seine Stimme klang rau und er musste schlucken.
    Das Mädchen lachte hell. Als sie antwortete, klang ihre Stimme dagegen samtig voll und ein wenig tief für ihre zierliche Gestalt.
    »Eine Nachtfee?«
    »Ich habe Geschichten über sie gehört, aber noch keine gesehen - außer dir. Du musst eine sein!«
    Das Mädchen hob die Schultern. »Ich bin ein Wesen der Nacht, ja, das ist richtig. Eine Fee der Finsternis, könnte man sagen.«
    »Ein Kind des Mondes!«, widersprach Bram hingerissen, obwohl ein Teil seines Bewusstseins ihn noch immer vor einer drohenden Gefahr warnte.
    »Dem der Mond jedoch keinen Schatten geben kann!« Brams  Augen weiteten sich, während sie weitersprach. »Wenn ich dir einen Rat geben darf. Kehre zurück in die Sicherheit deines Lebens weit weg von nächtlichen Friedhöfen, die du so zu lieben scheinst.«
    Bram war verwirrt. »Wie kommst du auf diesen Gedanken?«
    »Ich habe dich in Rom auf dem Friedhof der Fremden gesehen, mit zwei Freunden und deiner Frau. Ich bin mir sicher! Ich vergesse nie den Geruch eines Menschen, wenn

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