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Lycana

Lycana

Titel: Lycana Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Schweikert
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ihre Lippen noch deutlich auf den seinen spüren.
    »Lauf!«, schrie sie.
    »Was?« Franz Leopold ging auf sie zu, die Arme ausgestreckt,  um sie wieder an sich zu ziehen, doch Ivy fauchte, ihre spitzen Reißzähne blitzten.
    »Geh!«, keuchte sie und versuchte, das Steinkreuz wie eine Schutzbarriere zwischen sich und ihn zu bringen.
    Franz Leopold griff nach ihr und umschloss die ihm in Abwehr entgegengestreckten Arme. »Ivy. Du musst nicht …«
    Weiter kam er nicht. Seine Worte gingen in ihrem Aufschrei unter, der sich mit einem zweiten Schrei vermischte. Noch ehe Franz Leopold reagieren konnte, sah er eine Gestalt mit einem riesigen Sprung über die Friedhofsmauer hechten. Sie bewegte sich unglaublich schnell und sprang einfach über Büsche und Kreuze hinweg, als seien sie unbedeutende Maulwurfshügel. Vage erkannte Franz Leopold einen Mann, nicht größer als er selbst, mit langem silbernen Haar. Ivys Haar. Auch seine Gesichtszüge waren den ihren ähnlich, doch aus seinen Augen sprach nichts Freundliches, und seine Miene war nicht sanft wie Ivys. Zorn hatte sein schmales weißes Gesicht verzerrt. Eine Welle von Wut blies Franz Leopold wie Sturmwind ins Gesicht.
    »Lass ihn in Ruhe!«, kreischte Ivy. »Das geht dich nichts an!« Franz Leopold wollte Ivy an sich ziehen, aber da wurde sie ihm bereits entrissen. Mit einem letzten riesenhaften Sprung raubte der Fremde sie aus seinen Armen und zog sie mit sich fort. Vor einem mächtigen Steinsockel blieb er stehen, einen Arm besitzergreifend um ihre Mitte gelegt. Die Zähne gefletscht, knurrte er Franz Leopold an. Es war ihm, als würde eine Faust seinen Geist zerquetschen.
    »Wage nicht noch einmal, sie anzurühren!«, fauchte er.
    »Das geht dich nichts an!«, schrie Ivy und versuchte, sich aus seinem Griff zu befreien, doch er war stärker. Franz Leopold sah ihre Eckzähne aufleuchten, dann schlug sie sie dem Mann in den Arm. Er heulte auf, ließ sie aber noch immer nicht gehen. Franz Leopold ballte die Hände zu Fäusten und trat langsam näher. Es war ihm, als müsse er gegen Sturmwinde ankämpfen. Seine Füße wollten sich nicht vom Boden lösen.
    »Wer seid Ihr? Habt Ihr nicht gehört? Ihr sollt sie in Ruhe lassen!«, schleuderte er dem Fremden entgegen. Er streckte die Hände aus, um Ivy zu helfen, als der Mann plötzlich von ihr abließ. Er betrachtete seinen Arm, an dem zwei blutige Spuren herabrannen.
    »Schick ihn weg«, sagte der Fremde leise. Die Drohung schwebte fast greif bar zwischen ihnen. Franz Leopold mühte sich einen weiteren Schritt näher heran.
    Ivy ließ resignierend die Arme fallen. »Geh«, sagte sie leise.
    »Nur wenn du mitkommst.«
    Sie schüttelte den Kopf. »Leo, ich bitte dich, geh jetzt. Dies betrifft nur mich.«
    Nun begann auch in Franz Leopold Wut aufzuwallen. »Ach ja? Was dich betrifft, betrifft auch mich. Also sprich: Wer ist der Kerl, und was erdreistet er sich, so mit dir umzuspringen?«
    Er sah, wie sich ihr Blick wandelte. Ihre Augen schimmerten plötzlich hart wie Edelsteine, ihre Stimme wurde kalt. »Ich weiß nicht, wie du auf den Einfall kommst, ich wäre dir Rechenschaft schuldig. Franz Leopold, verlass sofort diesen Platz!«
    Die Maske der Arroganz verhüllte seine Gefühle, doch seine Augen verrieten für einen Moment, wie tief ihre Worte ihn trafen. Abrupt wandte er sich um und ging davon. Die Gittertür quietschte.
    Ivys Schultern sackten nach vorn, die Kälte aus ihrem Blick wich tiefer Traurigkeit, als sie sich zu dem Mann umwandte, der noch immer die blutende Wunde an seinem Arm untersuchte.
    »Wie konntest du nur?«
     

NOCH EINE BEGEGNUNG AUF DEM FRIEDHOF
    Schon vom ersten Augenblick an wusste sie, dass sie den Neuen nicht mochte. Nellie reichte ihm einen Krug Bier, weil der Vater es ihr befohlen hatte, doch als er danach griff und sich ihre Finger berührten, hätte sie den Arm beinahe zurückgezogen und den Krug fallen lassen. Der Fremde schien ihre Verwirrung nicht nur zu bemerken, er weidete sich geradezu daran - und keiner nahm davon Notiz! Nicht ihr Vater, nicht ihr Bruder Cowan, nicht Karen oder die anderen Männer der Verschwörung, die nun den Gast aus Dublin begrüßten: die Lady, die in ihren wilden Jahren glühende Artikel gegen die Engländer geschrieben hatte, die das irische Volk nach der großen Kartoffelfäule mit ihrem Hunger alleingelassen und die Not sogar noch ausgenutzt hatten, um noch mehr Land an sich zu raffen. Das war also die berühmte »Speranza«! Nellie konnte sich die große,

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