Lycana
war erstaunlich glatt verlaufen. Die wenigen Wachen hatten keinen Verdacht geschöpft. Mac Gaoth war immer wieder verschwunden, um die Lage auszukundschaften, während Nellie, Karen und die Männer in sicherer Entfernung bei den Ponys warteten. Endlich hielt Mac Gaoth den rechten Zeitpunkt für gekommen. Während Nellie und ein ziemlich mürrischer Cowan mit Fynn bei den Ponys warteten, schlichen sich die Männer mit Messern bewaffnet zum Lager. Nellie lauschte, konnte aber außer dem an- und abschwellenden Rauschen des Windes und ab und zu dem Schnauben eines Ponys nichts hören. Dann kehrte ihr Vater zurück und lächelte ihr beruhigend zu.
»Es ist alles glattgegangen. Zwei der Wachen waren eingeschlafen. Drei andere haben wir beim Kartenspiel gestört.«
»Habt ihr«, sie stockte und musste schlucken. »Habt ihr sie getötet?«
Myles strich seiner Tochter über das Haar. »Aber nein! Wir haben sie zu hübschen Paketen verschnürt und ihnen einen Knebel zwischen die Zähne geschoben, damit sie nicht schreien. Wenn wir weg sind, wird sie die nächste Ablösung finden und befreien.«
Nellie berührte die in der Dunkelheit kaum erkennbare Wange ihres Vaters. »Sie haben euch nicht erkannt, nicht wahr? Wie gut, dass ihr euch die Gesichter mit Holzkohle geschwärzt habt.«
»Nein, niemand hat uns erkannt. Sei unbesorgt. Und nun nimm den Strick dieser Ponys und folge mir.«
Sie hatten ihre Tiere in mehreren kleinen Gruppen zusammengebunden. Die kleinen, robusten Ponys folgten ihnen gehorsam bis in den Hof der alten Kaserne, in der die Waffen gelagert wurden. Mit geübten Handgriffen wickelten die Männer Gewehre und Patronenschachteln, Degen und Messer in die Öltücher, die sie mitgebracht hatten, und befestigten je zwei Bündel an jedem Tier. Mac Gaoth umkreiste die Gruppe und sah ihnen zu. Immer wieder hielt er inne, um zu lauschen. Plötzlich erstarrte er. Nellie hatte nichts gehört, aber er zischte: »Da kommt jemand. Ich höre die Stimmen von zwei Männern.«
Myles und Fynn zogen ihre Messer, Mac Gaoth jedoch winkte ab.
»Packt ihr die Pferde, ich kümmere mich um sie.« Lautlos verschwand er in der Nacht. Die Männer beluden derweil in fieberhafter Eile die letzten Ponys.
»Steig auf«, befahl Myles seiner Tochter und half ihr so schwungvoll in den Sattel, dass sie beinahe auf der anderen Seite wieder hinuntergefallen wäre.
»Und du auch, Cowan. Es könnte sein, dass wir schnell wegmüssen. Bleibe immer bei deiner Schwester!« Cowan nickte ernst und sah sehr erwachsen aus.
Die Männer hatten gerade das letzte Bündel befestigt, als Mac Gaoth wieder auftauchte. Ein seltsames Lächeln umspielte seine Lippen. Als er an Nellie vorbeikam, wehte ihr wieder dieser scharfe Raubtiergeruch in die Nase. Und noch etwas anderes lag in der Luft. Der Geruch von Blut? Das Pony schnaubte ängstlich und wich zur Seite.
»Alles in Ordnung. Der Weg ist frei. Wir können gehen«, sagte Mac Gaoth und setzte sich an die Spitze. Obwohl die Nacht schon weit fortgeschritten war und er bereits eine große Strecke im Laufschritt zurückgelegt hatte, zeigte er keine Anzeichen von Erschöpfung. Nellie dagegen musste immer wieder ein Gähnen unterdrücken.
Doch plötzlich war sie hellwach. Ihr Pony war einer tiefen Mulde ausgewichen und schritt nun in einem Bogen zum Weg zurück. Da sah sie die beiden Körper. Blutgeruch, begleitet von einer Wolke üblen Gestanks, hüllte sie ein. Das Licht der Mondsichel glitt über die zerfetzten Leiber mit den herausgerissenen Kehlen. Es war, als wäre eine Meute Bluthunde über sie hergefallen. Doch hier waren weit und breit keine Hunde. Nellie hätte sie in der Stille der Nacht hören müssen. Das Mädchen presste die Hand vor den Mund, um nicht zu schreien. Ihr Pony beschleunigte seinen Schritt und erlöste sie gnädig von dem grausigen Anblick. Doch obwohl ihre Augen die Leichen nicht mehr sehen konnten, blieb das Bild doch in ihr Gedächtnis eingebrannt.
»Du bildest dir da etwas ein«, wehrte ihr Bruder ab, als sie ihm ein wenig später von ihrer Beobachtung berichtete. »Es ist dunkel und deine Nerven sind so einer Sache nicht gewachsen.«
Nellie zitterte vor Zorn. »Meine Nerven haben damit gar nichts zu tun! Der Mond war hell genug, und ich weiß, was ich gesehen habe. Das Blut war noch ganz frisch und floss aus den vielen Wunden.«
Ihr Bruder verdrehte die Augen. »Angenommen, du hast richtig gesehen. Wo sollten diese Bestien denn plötzlich hergekommen und wohin ganz lautlos
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