Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lycana

Lycana

Titel: Lycana Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Schweikert
Vom Netzwerk:
geben.
    Der junge Mann, dessen Name sie vergessen hatte und der sie auch nicht interessierte, löste die Taue, mit denen das Boot am Steg befestigt war, und steuerte auf den See hinaus. Er warf seinem späten Fahrgast immer wieder bewundernde Blicke zu und versuchte einige Male erfolglos, sie in ein Gespräch zu ziehen, doch ihre abweisende Miene entmutigte ihn schnell, sodass er sich mit stummter Anbetung begnügte. Die Vampirin saß reglos da und sah zum nächtlichen Ufer hinüber. Ab und zu erhaschte sie die warme Aura eines Tieres, ansonsten schienen die Wiesen und feuchten Haine verlassen. Endlich steuerte der junge Mann das Ufer an. Einen Steg gab es hier nicht, daher sprang er über Bord, sobald der Kiel über den Schlickgrund schleifte, und zog das Boot durch das Schilf so nahe ans Ufer, dass seine Passagierin mit einem großen Schritt trockenen Fußes aussteigen konnte. Er streckte ihr die Hand entgegen, um ihr ritterlich zur Seite zu stehen. Ihr Händedruck war eisig wie der Tod und viel kräftiger, als er es bei diesem zarten, wunderschönen Wesen erwartet hätte.
    »Sie haben gar nicht gesagt, dass Ihnen kalt ist«, meinte er besorgt. »Ich kann Ihnen für die Rückfahrt eine Decke geben.«
    Die Dame sprang elegant an Land, ihre Hand noch immer in der seinen. »Es wird keine Rückfahrt geben«, sagte sie mit ihrer verführerischen Stimme, in der ein Gurren schwang, das wie ein Lachen klang.
    »Keine Rückfahrt?« Er sah sich um und fragte sich zum ersten Mal, was eine Lady wie sie zu so später Stunde an diesem einsamen Ort zu suchen hatte. Ob mit oder ohne Rückfahrt, es war schon ein wenig seltsam. Sehr seltsam! Noch immer hielt sie seine Hand fest und sah ihn mit einer Begehrlichkeit an, die ihn wie eine eisige Umarmung fesselte. Dabei hätte er sich geschmeichelt fühlen müssen, von ihr überhaupt bemerkt zu werden!
    Aus den Augenwinkeln nahm er eine Bewegung wahr. Auch die Lady sah aufmerksam in die Richtung. Ein schäbig wirkender Mann trat aus dem Gebüsch und kam auf sie zugeschlendert. Die Erkenntnis durchfuhr ihn wie ein Blitz. Natürlich, das war die einzige mögliche Erklärung. Sie traf sich mit einem Mann - um mit ihm durchzubrennen? Brauchte sie sein Boot deshalb nicht für die Rückfahrt? Hatte er Pferde oder eine Kutsche besorgt, um seine Braut mit sich zu nehmen? Neugierig starrte er den Mann an, der sich mit raubtierartiger Geschmeidigkeit näherte. Je deutlicher er ihn erkennen konnte, desto mehr stieg seine Verwirrung, ja, Enttäuschung. Wie konnte sie sich mit so einem abgerissenen Kerl einlassen? Er konnte sich nicht vorstellen, was sie an diesem Mann fand - außer vielleicht eine zügellose Wildheit, wenn er sie in den Armen hielt. Dass ihre Familie diesen Mann nicht akzeptieren würde, konnte er sich dagegen nur zu gut vorstellen.
    Warum ließ sie ihn nicht endlich los? Seine Hand schmerzte und war eisig kalt unter ihrem Griff.
    Der Neuankömmling verneigte sich. »Es ist alles so, wie Ihr es geplant habt.«
    Sie neigte hoheitsvoll das aristokratische Haupt. »Das will ich hoffen. Ich liebe es nicht, wenn meine Pläne durchkreuzt werden.«
    »Das habe ich mir schon gedacht.« Er lächelte unheilvoll und nickte in die Richtung des Bootsführers.
    »Werdet Ihr ihn gehen lassen oder habt Ihr noch nicht gespeist?«
    Der junge Mann blinzelte verwirrt. Er verstand die Worte, die der Fremde sagte, aber sie schienen keinen Sinn zu ergeben.
    Die Lady wandte sich zu ihm um und entblößte herrlich weiße, doch merkwürdig spitze Zähne. »Nein, ich denke, diesen Leckerbissen kann ich mir nicht entgehen lassen. Ich werde mir einige Augenblicke des Genusses gönnen, ehe wir uns weiter meinen Plänen widmen. Du kannst solange die beiden Kisten ausladen, die ich mitgebracht habe.«
    Er neigte den Kopf, watete ins Wasser und beugte sich über die beiden Schachteln. Der Bootsführer wollte protestieren. Es war seine Aufgabe, der Lady behilflich zu sein. Er öffnete den Mund, doch es kam kein Laut hervor. Sie trat einige Schritte vom Ufer weg und zog ihn wie ein ungezogenes Kind hinter sich her, ohne dass er auch nur versuchte, sich zu wehren. Was zum Teufel wollte sie von ihm?
    Sie lächelte nicht mehr verführerisch, sondern gierig. »Dein Blut natürlich, dummer Junge.« Dann senkten sich ihre Zähne in seinen Hals. Er stand nur da, mit weit aufgerissenen Augen, während sein Leben durch ihren Mund floss. Mit seinem Blut schwanden seine Sinne. Dass sie ihn losließ und er zu Boden sackte,

Weitere Kostenlose Bücher