Lycana
aber nur fassungslos an. Der erste sprang ihm gegen die Brust, dass er taumelte. Der zweite brachte ihn zu Fall. Hilflos lag er auf dem Boden, einen geöffneten Rachen an seiner Kehle. Der jüngere Werwolf beugte sich zu ihm herab und sagte etwas. Áthair Faolchu reagierte nicht. Trotzdem zogen sich die beiden Angreifer einige Schritte zurück und nahmen ihre menschliche Gestalt an. Dann streckte der junge Werwolf dem am Boden liegenden die Hand entgegen, um ihm beim Aufstehen zu helfen. Es war keine Geste des Respekts. Es war die Hand des Kerkermeisters, der seinen Gefangenen abführt. Áthair Faolchu ergab sich ohne Widerstand in sein Schicksal. Vielleicht waren die Machtverhältnisse in der Sippe schon lange aus den Fugen geraten, nun jedoch wurden für jeden sichtbar neue Tatsachen geschaffen. Nur seine stolze Haltung blieb dem entthronten Anführer der Werwolfsippe von Connemara.
Ivy hatte genug gesehen. Sie spreizte die Flügel und flog nach Süden und dann wieder auf das Seeufer zu. Dort unter ihr, in einem kleinen Hain, bewegte sich etwas. Gestalten waren zu erahnen, die, bis auf eine, die rötliche Aura menschlicher Wärme vermissen ließen. Ivy landete in den Ästen eines Baumes. Zuerst schien keiner ihre Anwesenheit zu bemerken, doch dann spürte sie einen Blick durch ihr Gefieder dringen. Tara! Natürlich, wer sonst. Ivy flog vom Baum und verwandelte sich. Natürlich hatte sie keine freudige Begrüßung erwartet. Doch das Entsetzen in den Mienen der Lycana und ihrer Mutter ließ sie beschwichtigend die Hände heben.
»Es ist alles in Ordnung! Keine Sorge, ich berichte sogleich, was geschehen ist und was wir herausgefunden haben!« Sie behielt Ireens Vernichtung noch für sich und beruhigte auch die Servienten der anderen Familien.
»Sie haben den cloch adhair nach Ross Errily gebracht, denn sie wissen, dass die Lycana das Kloster nicht betreten können.«
»Aber ich kann es«, sagte Tara.
»Willst du dich alleine einer Meute Werwölfe entgegenstellen?«, gab Ivy zurück.
»Ich kann mit ihnen sprechen. Es muss eine friedliche Lösung geben. Sie werden mir nichts tun.«
»Da wäre ich mir nicht so sicher. Ich habe gesehen, wie sie Áthair Faolchu angegriffen und ihn weggebracht haben. Die Machtverhältnisse sind nicht mehr, wie sie waren.«
Tara nickte. »Ich habe es befürchtet. Doch welche Wahl bleibt uns? Kein Vampir kann das Kloster betreten.«
»Du weißt genau, dass es sehr wohl eine Möglichkeit gibt. Du willst sie nur nicht ergreifen. Sowohl Francesco als auch Leonarda und Pietro sind dazu in der Lage.« Die Römer nickten einmütig. »Und die Erben haben in Rom gelernt, sich ebenfalls erfolgreich gegen die Abwehrkräfte der Kirche zu wehren.« Ivy zeigte das Ufer entlang nach Norden. »Bald schon wird Quintins Fischerboot anlegen und die Erben zu uns bringen. Sie sind bereit, ihren Teil dazu beizutragen, diesen Streit zu einem guten Ende zu bringen. Dies ist nicht die Zeit, unsere Chancen zu verwerfen, nur um die Erben von jeder Gefahr fernzuhalten.«
Die Nachricht löste wenig Freude aus. Immerhin räumte Donnchadh den Vorteil ein, dass die Klostermauern für fast zwei Dutzend der Vampire kein Hindernis darstellten. Und so brachen sie auf, um die Erben in Empfang zu nehmen.
Die Vampirin hatte Cong bereits am frühen Abend verlassen, um sich zu dem Treffpunkt zu begeben, den der Werwolf ihr genannt hatte. Eine kleine Scheune nahe am Ufer des Lough, die von den Schafbauern nicht mehr benutzt wurde.
Die trotz ihres heute schlichten schwarzen Gewands auffallende Dame warf einen letzten Blick auf das prächtige Schloss, dann verließ sie Ashford. Sie hatte sich bereits vor einigen Tagen ein kleines Boot besorgt - und einen jungen Mann, der sie bei ihrer ersten Begegnung so verzückt anstarrte, dass sie auf ihre Fähigkeit, Menschen gefügig zu machen, gänzlich verzichtete. Nun wartete er unten am Steg, bot ihr galant die Hand, um ihr an Bord zu helfen, und lief dann los, die beiden Kisten zu holen, deren Inhalt zu beschaffen sie einige Mühe gekostet hatte. Vielleicht würde sie die schimmernden Metallteile nicht benötigen, doch sie wollte vorbereitet sein.
Das oberste Ziel lautete, das Hindernis zu beseitigen, das zwischen dem Meister und dem Objekt seiner Begierde stand. Sie hatte einmal versagt und war bei ihm in Ungnade gefallen. Noch einmal würde ihr das nicht passieren - durfte ihr das nicht passieren! Die Vampirin wusste genau, ein drittes Mal würde es für sie nicht
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