Lycana
Altenteil zurückzuziehen. Sie ist noch immer schnell und kräftig und besitzt unglaubliche geistige Kräfte.« Alisa betrachtete die Vampirin und nickte. Ja, das konnte sie sich sehr gut vorstellen.
»Berghetta kennst du ja bereits. Sie ist Morrigans Tochter.« Die Vampirin war blond und hatte die eisblauen Augen ihrer Mutter.
»Neben ihr sitzt Ian, ein Servient, der ein hohes Alter und viel Erfahrung in seinem jungen Körper verbirgt. Man sagt, dass er Königin Elisabeth I. mit eigenen Augen gesehen hat, aber ich kann dir nicht sagen, ob das der Wahrheit entspricht. Jedenfalls hat er mir von der Zeit berichtet, als Cromwell in Irland wütete. Das hat er jedenfalls selbst miterlebt!« Sie lächelte.
»Den Letzten der Runde, Ciarán, hast du ja bereits kennengelernt. Er ist ein reines Mitglied der Lycana. Er wirkt noch recht jung, aber lass dich nicht täuschen. Wir haben kein größeres Talent in den Reihen der Familie, wenn es um die Verwandlung in jedes nur mögliche Tier geht. Und natürlich kann er sich in Nebel auflösen und die Winde rufen, dass sie ihn dorthin blasen, wohin es ihm beliebt.«
Alisa betrachtete den Vampir aufmerksam. Zur Zeit seiner Wandlung mochte er zwischen zwanzig und dreißig gewesen sein. Mit seinem hellblonden Haar und der blassen Haut wirkte er ein wenig farblos und auch seine Gesichtszüge waren eher einfältig zu nennen. Er verschwamm geradezu neben der männlich markanten Persönlichkeit des Servienten Ian neben ihm. Alisa war noch in ihre Betrachtungen versunken, als sich Donnchadh, der sich bis dahin leise mit Catriona unterhalten hatte, erhob.
»Die Nacht ist weit fortgeschritten, doch ein paar Stunden bleiben uns noch, bis die Müdigkeit euch in eure Särge treibt. Hier unten können euch die Sonnenstrahlen zwar nichts anhaben, das wird aber nichts an eurem Schlafrhythmus ändern. Es gehört schon viel Kraft dazu, die eigene Natur zu überwinden. Aber das wird im Augenblick nicht notwendig sein. Wir beschränken unsere Unterrichtszeit auf die Nachtstunden.«
»Wie gnädig«, murmelte Luciano und zog eine Grimasse.
»Ihr werdet nun üben, euch eine Fledermaus zu rufen. Habt ihr erst einmal erreicht, dass sie bei euch bleibt, könnt ihr lernen, euch ihrer feinen Sinne im Dunkeln zu bedienen. Gebt nicht auf, auch wenn eure Bemühungen nicht sofort von Erfolg gekrönt sind, denn wer diese Lektion gelernt hat, besitzt einen unschätzbaren Vorteil.«
»Oh ja, ich benötige in den hell erleuchteten Ballsälen von Wien dringend ein paar Fledermäuse, die mir um den Kopf schwirren«, spottete Anna Christina. Donnchadh ignorierte sie, obgleich er ihre Worte sicher vernommen hatte.
»Catriona, Ainmire und Ciarán werden euch bei euren Übungen anleiten und euch unterstützen. Teilt euch in drei Gruppen auf.«
Er wartete, bis sich die jungen Vampire um die Lycana geschart hatten, dann löschte er das Feuer in der Mitte und ließ die Höhle in Finsternis versinken.
Mit kräftigen Flügelschlägen durchschnitt der Seeadler die frische Luft. Flog durch Sonne, Wind und Regenschauer, ohne zu ermüden, sein Ziel ständig vor Augen. Er nahm sich keine Zeit zu jagen und auch nicht, sich auf einen Kampf mit dem Krähenschwarm einzulassen, der dies sichtlich provozierte. Schnell und ausdauernd war er, und er gönnte sich erst eine Ruhepause, als er im Hof von Dunluce Castle gelandet war.
Tapaidh saß auf einem Felsvorsprung und ließ die gelben Augen über die verlassen wirkende Burg wandern. Noch stand die Sonne eine Handbreit über dem Horizont. Wenig verwunderlich also, dass die Stille wie ein Leichentuch über der alten Festung lag. Tapaidh entschied, dass ihm noch genug Zeit blieb, seinen Hunger zu stillen, ehe die Bewohner ihre Särge verließen. Er beschloss, bei der Kolonie der Sturmvögel vorbeizufliegen. Vielleicht war der eine oder andere unerfahrene Jungvogel zu erbeuten. Ansonsten bot der Ozean genug Nahrung. Am liebsten waren ihm die alten und verletzten Fische, die mit trägen Bewegungen halb auf der Seite liegend nahe der Oberfläche herumpaddelten. Tapaidh öffnete seine Schwingen und ließ sich über die Kliff kante in die Tiefe fallen.
Als der Seeadler gesättigt zurückkehrte, war die Dunkelheit hereingebrochen, und es regten sich schattenhafte Gestalten auf Dunluce und seiner Vorburg. Im Tiefflug drehte er seine Kreise auf der Suche nach dem Vampir, dem er die Nachricht bringen sollte. Er war nicht zu sehen, und er konnte auch keinen anderen Vampir entdecken,
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