Lycana
der sich die romanische Kirche erhob. Fuchsienbüsche blühten üppig zwischen den Mauerresten und auf dem Friedhof, dessen Gräber noch immer gepflegt wurden. Die Legenden behaupten, ein Neffe St. Patricks sei hier begraben. Doch das interessierte Tara nicht. Zwar hatte sich der Glaube der Kelten nach und nach mit dem Christlichen verwoben, doch sie war eine Vertreterin der alten Druiden, die ihre Tradition über die Jahrhunderte hinweg im Verborgenen fortgeführt hatten.
Eine Gestalt in einem langen weißen Gewand trat aus einer einfachen Hütte, legte die Hand auf die Brust und verneigte sich tief.
»Tamara Clíodhna, welch Freude und Ehre, Euch zu begrüßen.«
Es gab der Druidin einen leichten Stich, die junge Frau anzusehen, die sie schon so viel ihrer Kunst und Erfahrung gelehrt hatte. Sie war klug und von sanftem Wesen, hatte eine rasche Auffassungsgabe und fühlte sich mit ihrem Geist und ihrem Herzen dem alten Glauben verbunden. Sie war sehr mit ihr zufrieden. Und doch stimmte ihr Anblick sie traurig. Es hätte ihre Tochter sein sollen, mit der sie ihr Wissen teilte. Die Vergangenheit mischte sich mit der Gegenwart, und sie sah wieder ihr eigenes Kind aus der Hütte treten und sie begrüßen, freudig erregt, was es heute zu lernen gab. Vorbei und verloren. Sie hatte das Unheil nicht heraufziehen sehen, trotz ihrer hohen Gaben.
»Ist Euch nicht wohl? Wollt Ihr hereinkommen und einen Kräutermet trinken?«, fragte die junge Frau besorgt.
Tara schüttelte die schmerzliche Erinnerung ab. Ihre Tochter wäre inzwischen bereits ebenfalls eine alte Frau. Nun blieb sie ewig jung!
»Nein, Isleen, ich danke dir«, antwortete die Druidin und zeigte ihr ein Lächeln, um die Besorgnis zu zerstreuen, doch Isleen war schon zu lange ihre Schülerin, um Taras Anspannung nicht zu spüren.
»Ich reise nach Norden, nach Dunluce, und ich muss mich beeilen.«
Isleen stellte keine weiteren Fragen. »Dann hole ich Euch Álainn.«
»Ja, und bring mir auch den Adler. Ich muss Donnchadh eine Nachricht senden.«
Es dauerte nicht lange, bis Isleen die weiße Stute herausführte. Sie schnaubte leise, als sie die alte Druidin sah. Isleen ließ sie los. Das Pferd trabte auf Tara zu, blieb neben ihr stehen und rieb ihre Stirn an der Schulter der Frau.
»Álainn, die Schöne, die Göttliche, hell glänzend wie die Sonne am Mittag. Wir müssen schnell wie der Wind nach Norden reisen.« Die Stute wieherte und hob den Kopf. Ihr Blick richtete sich über den Lough nach Norden.
»Du hast sie gut gepflegt«, sagte Tara, die den Arm hob, um den Seeadler in Empfang zu nehmen. Majestätisch saß der Greif da, den Blick unverwandt auf die Druidin gerichtet.
»Ist einer der Falken gekommen?«, fragte sie. Isleen schüttelte den Kopf. »Nein, wir haben keine Nachricht von Dunluce erhalten.«
Tara nahm das Pferd am Zügel.
»Wann kann ich Euch zurückerwarten?«, fragte Isleen, die ihr mit einem kleinen Bündel in den Armen folgte.
»Vor dem nächsten Neumond, wenn die Götter uns gnädig sind!«
»Dann müsst Ihr wirklich wie der Wind reiten, aber ich sorge mich nicht. Ich habe Álainn darauf vorbereitet. Sie ist ausdauernd und stark. Sie wird Euch nicht enttäuschen.«
»Ich weiß. Und vielleicht muss ich ja nicht den ganzen Weg bis Dunluce reiten. Ich werde Tapaidh voraussenden, damit sie mir entgegenreisen können.«
Sie hob den Vogel ein Stück höher und näherte ihre Lippen seiner hinter den Federn verborgenen Ohröffnung. Er blinzelte zweimal, schien aber aufmerksam zu lauschen. Dann hob Tara den Arm. Der Adler breitete seine Schwingen aus und hob mit einem kräftigen Stoß ab, sodass der Abdruck seiner Klauen auf dem Ärmel ihres Gewands zurückblieb. Rasch schraubte er sich in die helle Morgenluft und schoss dann in Richtung Cong davon. Tara sah ihm nach, bis er ihren Blicken entschwunden war, dann ging sie zum Bootssteg hinunter, die Stute folgte ihr.
Der alte Fischer saß noch immer so da, wie sie ihn verlassen hatte. Nun erhob er sich und verbeugte sich linkisch vor Isleen.
»Wir sind bereit«, sagte die Druidin und führte das Pferd an Bord. Isleen reichte ihr ein Päckchen.
»Ich weiß, dass Ihr eine Meisterin der Askese seid, doch es kann nicht schaden, auf einer anstrengenden Reise seine Kräfte zu erhalten.«
Tara dankte ihr. Die Stute spielte mit den Ohren, wirkte ansonsten jedoch nicht nervös. Der Fischer legte ab und griff nach der Ruderpinne. Ein frischer Südwind trieb sie voran, direkt auf das kleine
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