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Lydia Strong 01 - Im Herzen die Sünde

Lydia Strong 01 - Im Herzen die Sünde

Titel: Lydia Strong 01 - Im Herzen die Sünde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Unger
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bald mit gezückter Waffe allein auf dem Hochhausdach wieder, während die anderen eine Minute im Rückstand waren und sich keuchend die fünfzehn Stockwerke hinaufschleppten. Die Gesichter der entführten und ermordeten Jungen hatten sich Jeffrey ins Gedächtnis eingebrannt. Er war wild entschlossen, die Bestie hinter Gitter zu bringen. Auf dem Dach ging ein Schatten in den nächsten über, und die Türen, Schornsteine und Ventilationsschächte boten unendlich viele Verstecke. Der Straßenlärm klang hier oben gedämpft, war aber immer noch so laut, dass der Verbrecher sich nicht durch seinen Atem und seine Schritte verriet. Jeffreys größter Fehler war seine Furchtlosigkeit gewesen. Er hätte vorsichtiger sein sollen. Stattdessen bog er um die Ecke und stand unvermittelt dem Kriminellen gegenüber, der sofort das Feuer eröffnete. Zum Glück war er ein miserabler Schütze, verfehlte Jeffreys Kopf und traf nur dessen Schulter direkt am Rand der kugelsicheren Weste. Jeffreys Team war Sekunden später zur Stelle und schoss den Mörder nieder.
    Jeffrey erinnerte sich nur noch, wie er Stunden später im Krankenhaus aufgewacht war, benebelt von den Medikamenten und mit einem dumpfen Schmerz in der Schulter. Er brauchte einen Moment, um zu begreifen, was passiert war und wo er sich befand. Der Raum lag im Halbdunkel, die Kontrollgeräte piepten leise. Als er den Kopf drehte, sah er Lydia im Türrahmen stehen. Er glaubte zu träumen. Das Flurlicht in ihrem Rücken umgab sie mit einem Heiligenschein. Sie sah schön und stark aus mit dem langen, schwarzen Haar und dem eng anliegenden, weißen T-Shirt, das ihre Brüste betonte. Er lächelte verträumt und hätte sie am liebsten in die Arme geschlossen.
    In dem Augenblick schienen sie die Kräfte zu verlassen. Erschöpft lehnte sie sich an den Türrahmen und schloss die Augen. Die Tränen liefen über ihre bleichen Wangen. Jeffrey hatte sie seit dem Tod ihrer Mutter nicht mehr weinen sehen. Nun wirkte sie einsam und hilflos, wie das Kind von damals. Er versuchte, sich aufzusetzen.
    »Lydia, es geht mir gut!«
    Sie trat ein und setzte sich ans Bett. Sie ergriff seine unverletzte Hand, drückte sie an die Wange und schlug die Augen nieder wie zum Gebet. In dem Moment hatte sie eine Grenze überschritten. Es schnürte ihm die Kehle zu, als er dort lag, und er musste sich eingestehen, dass er ihr in seinen Gefühlen schon lange voraus war.
    Ihre Tränen rührten ihn, aber er schwieg. Obwohl er sie bitten wollte aufzuhören zu weinen, weil sein Herz zu zerbrechen drohte, verstand er, dass die Tränen die Antwort auf eine alte, unausgesprochene Frage waren. Er hatte immer gewusst, dass sie ihm vertraute und tiefe Gefühle für ihn hegte. Ihn als Einzigen an ihrem Leben teilhaben ließ. Aber er konnte nicht einschätzen, wie weit ihre Zuneigung ging. Sie hatte immer einen Sicherheitsabstand zu ihm gewahrt, war immer wieder unangekündigt aus seinem Leben verschwunden. Als sie an seinem Bett saß und ihre Tränen seine Hand benetzten, gab sie den Widerstand auf.
    Einmal hatte sie zu ihm gesagt: »Liebe niemals so sehr, dass deine Welt untergeht, falls das Schicksal dir irgendwann das Objekt deiner Liebe entreißt.«
    Aber nun wusste er, es war zu spät – zu spät für sie beide.
    »Lydia, mir geht es gut«, wiederholte er leise. Er wagte nicht, sich zu bewegen, denn er fürchtete, sie könnte seine Hand loslassen.
    Sie suchte in seinem Gesicht nach der Wahrheit. Dann nickte sie und lehnte sich zurück, hielt aber immer noch seine Hand fest. Sie rang um Fassung. Ihre Wangen waren gerötet, und sie hatte den Blick abgewendet. Jeder Außenstehende hätte sie für gleichgültig, ihre Gesichtszüge für ausdruckslos gehalten. Aber ihre grauen Augen verrieten Jeffrey alles.
    »Wag es ja nicht, vor mir zu sterben, Jeffrey. Wage es ja nicht«, flüsterte sie.
    Stumme, unkontrollierbare Schluchzer würgten sie, schüttelten ihre schmalen Schultern. Jeffrey hätte sich lieber eine zweite Kugel eingefangen, als sie so unglücklich zu sehen.
    »Lydia«, sagte er. Alles, was er ihr seit Jahren anvertrauen wollte, drängte an die Oberfläche.
    Aber sie unterbrach ihn.
    »Jetzt nicht, Jeffrey«, sagte sie sanft.
    Er fürchtete, übers Ziel hinauszuschießen, und ließ es dabei bewenden. Schweigend und Hand in Hand saßen sie da, bis er wieder einschlief.
    Lydia zog für einen Monat zu ihm nach Midtown. Sie putzte und kochte für ihn und pflegte ihn mit einer Zärtlichkeit, die er ihr niemals

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