LYING GAME - Weg bist du noch lange nicht
sich zwischen euch verändert«, bohrte Emma weiter. »Ihr seid jetzt ein Herz und eine Seele. Hat das etwas mit dem Abend vor Nishas Party zu tun? Ich weiß, dass ihr da zusammen wart, Mads.«
Madeline blieb mitten im Flur stehen und ließ die anderen Schüler an sich vorbeiströmen. An ihrer Schläfe pulsierte eine Ader. »Hör doch endlich auf mit diesem Abend!«
Emma blinzelte. In ihrem Bauch brannte ein Feuer, das sie weiter antrieb. »Warum?«
»Weil ich nicht darüber reden will, kapiert?«
»Aber …«
»Lass mich in Ruhe damit, Sutton!« Madeline drehte sich um und stürmte blindlings durch die nächste Tür, die in die Bibliothek führte.
Emma drückte mit der Schulter die Tür auf und folgte Madeline nach drinnen. An langen, breiten Pulten brüteten Schüler über ihren Hausaufgaben. Hinter einer Glaswand glühten Bildschirme. In dem großen Raum roch es nach alten Büchern und dem Desinfektionsspray, das Travis immer geschnüffelt hatte.
Madeline verschwand gerade in einem der hinteren Gänge.
»Mads!«, rief Emma und eilte an einem niedrigen Regal voller Atlanten und Lexika vorbei. »Komm schon, Mads!«
Die Bibliothekarin legte einen Finger an die Lippen. »Ruhe!«, befahl sie und starrte wütend über ihren Schreibtisch.
Emma rannte an Postern für die Twilight— und Harry-Potter -Filme vorbei, die ihr einen schmerzlichen Stich versetzten. Becky hatte ihr früher Harry Potter vorgelesen, jeder Figur eine andere Stimme gegeben und dabei einen schäbigen, schwarzen Samtumhang getragen, den sie nach Halloween auf dem Flohmarkt erstanden hatte. Emma hatte es geliebt, wenn Becky ihr vorlas, und es machte ihr überhaupt nichts aus, dass der Umhang ziemlich modrig roch.
Sie bog in den Gang ein, in den Madeline verschwunden war, und fand sie ganz am Ende des Ganges neben ein paar Ausgaben des Riverside Shakespeare . Ihr langes, dunkles Haar fiel ihr den Rücken hinunter und sie hielt sich kerzengerade.
Ganz plötzlich erinnerte ich mich daran, dass ich Mads schon einmal in dieser angespannten Haltung gesehen hatte, die sie nur einnahm, wenn sie sehr verletzt war. Wir saßen in ihrem Schlafzimmer und unten wurde gestritten, die gedämpften Stimmen wurden immer lauter. Ich hörte sie leise keuchen, als versuche sie, Tränen zu unterdrücken.
»Mads?«, flüsterte Emma. Madeline antwortete nicht. »Komm schon, Mads. Es tut mir leid, wenn ich etwas Falsches gesagt habe.«
Madeline wirbelte herum und starrte Emma mit rotgeweinten Augen an. »Ich habe dich zuerst angerufen, wenn du’s unbedingt wissen willst.« Ihre Stimme brach und sie presste die Lippen zusammen. »Du hast nicht geantwortet. Offenbar hattest du Wichtigeres zu tun.«
Sie schniefte und holte mühsam Atem. »Die Welt dreht sich nicht nur um dich, Sutton. Ich mache immer alles, was du sagst, aber es wäre schön, wenn du dich mal revanchieren würdest. Also habe ich als Nächstes Charlotte angerufen und sie ist die ganze Nacht bei mir geblieben. Und ja, deshalb sind wir jetzt besonders eng. Zufrieden?«
Madeline biss die Zähne zusammen und drängte sich an Emma vorbei, als sei diese nur irgendeine Schülerin, die ihr zufällig den Weg durch den Gang versperrte.
»Mads!«, protestierte Emma. Aber Madeline blieb nicht stehen. Sie stürmte durch die Tür auf den Flur hinaus.
Alle Schüler in der Bibliothek drehten sich um und starrten Emma an. Sie duckte sich in einen Gang und lehnte sich gegen ein Regal. Madeline hatte wirklich ein Geheimnis, aber sie verbarg nicht das, was Emma befürchtet hatte. Madelines Reaktion gerade eben konnte nicht gespielt gewesen sein. Was auch immer sie am Abend von Suttons Verschwinden getan hatte, hing nur mit ihren eigenen Problemen zusammen und hatte mit dem, was Sutton zugestoßen war, nicht das Geringste zu tun. Madeline war in jener Nacht anderweitig beschäftigt gewesen. Sie war unschuldig. Und da Charlotte bei ihr gewesen war, galt das aller Wahrscheinlichkeit nach auch für sie.
Ich fühlte mich unglaublich erleichtert und hätte am liebsten laut gejubelt. Meine zwei besten Freundinnen waren tatsächlich meine Freundinnen – nicht mehr Mörderinnen.
Schrilles Piepen ertönte, als die Bibliothekarin für einen mageren Rotschopf Bücher einscannte. Emma drehte sich um und wollte gehen, blieb aber mit dem Knie an einer Shakespeare-Ausgabe hängen und riss sie zu Boden. Das Buch klappte auf, die Seiten aus Dünndruckpapier waren voller Markierungen und Notizen von Schülern, denen es offenbar
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