Lykos (German Edition)
Kopf schmerzte furchtbar und schien fast zerplatzen zu wollen. Der Schmerz schwoll wellenförmig an und verging dann wieder für einige Zeit. Bernd Ritsch fühlte sich erschöpft und gleichzeitig innerlich vollkommen aufgewühlt. Seit Wochen schon fand er keine richtige Ruhe mehr. Diese Schweißausbrüche und die Schmerzattacken machten ihn fast wahnsinnig. Er war schon mehrmals bei einem Arzt gewesen, doch es gab offensichtlich keine körperlichen Ursachen für seinen Zustand – zum Glück, wie er gedanklich hinzufügte. Selbst der Computertomograph hatte keine Ergebnisse gebracht. Er erinnerte sich nur zu gut an den Tag der Untersuchung. Er hatte schon fest damit gerechnet, der Radiologe ihm die Diagnose Gehirntumor mitteilte, doch es war alles in Ordnung gewesen. Psychische Überlastung, hatte sein Hausarzt ihm dann als Ergebnis mitgegeben. Allerdings glaubte Bernd Ritsch nicht so recht daran. Wovon sollte er denn psychisch mitgenommen sein? Sicher, der Bau des Hauses im vergangenen Jahr hatte Nerven gekostet, aber das machte doch schließlich jeder mit. Ausgerechnet er sollte sozusagen einen Knacks davongetragen haben? Er schüttelte den Kopf über seine Gedanken und um seine Schmerzen loszuwerden, die nun wieder in Wellen auf ihn eindrangen.
Diese Schmerzen und die Schlaflosigkeit machten ihn wirklich fertig. Die Schlaflosigkeit, die sich immer zur Mitte des Monats hin verstärkte und dann plötzlich wieder abebbte mit einer Nacht, aus der er am nächsten Morgen wie aus einem Koma erwachte und sich an nichts erinnerte. Er erhob sich und blickte aus dem Fenster. Die Laterne gegenüber leuchtete in einem trüben Licht, als wenn sie jemand mit einem schmutzigen Tuch überzogen hätte. Es war Mitte November und nebelig dort draußen. Draußen ... er verspürte einen seltsamen Drang in sich, das Fenster zu öffnen und hinauszuspringen. Immer öfter bekam er solch ein Gefühl. Er träumte Nachts – wenn er mal schlafen konnte – oft davon, er einfach hinaussprang und fortlief. Es war ein irrealer, irgendwie auch beängstigender Traum, aber er hielt ihn in seinem Bann.
Neben sich hörte er, wie Carola sich bewegte. Auch sie schien nicht schlafen zu können und sie wälzte sich ebenso im Bett umher. Er blickte kurz auf ihre Umrisse unter der Decke und schaute dann schnell wieder weg. Früher hätten sie die Schlaflosigkeit anders genutzt ... früher. Jetzt war alles anders. Seit Monaten schon gab es diese mehr als gereizte Stimmung zwischen ihnen. Kaum ein Gespräch, kaum noch ein Wort, das nicht im Zorn gesprochen wurde. Carola fauchte ihn manchmal regelrecht an, selbst wenn es nur um ganz banale Dinge ging. Und er selbst verspürte ebenfalls einen beinahe unbändigen Jähzorn, wenn sie sich auch nur falsch bewegte. Vor allem die Tatsache, dass seine Frau immer öfter mitten in der Nacht verschwand und ihm dann nicht sagen wollte, wo sie gewesen war, nagte an ihm. Dabei störte ihn nicht so sehr die Möglichkeit, dass sie ihn vielleicht betrog sondern nur, dass sie stur und stumm blieb. Bernd Ritsch versuchte nicht einmal, hinter das Geheimnis von Carola zu kommen und ihr heimlich zu folgen. Er schluckte seine Wut und seinen Ärger lediglich hinunter und staute alles an, bis es vielleicht irgendwann in ihm explodierte.
Was war nur mit ihnen geschehen? Waren es wirklich die Nerven aufgrund der Schwierigkeiten mit dem Bau, die sie beide zu verarbeiten hatten und mit denen sie nicht fertig wurden? Oder hatte sich ganz plötzlich wie bei einem alten Ehepaar die dumpfe Gleichgültigkeit an Stelle von Liebe bei ihnen eingeschlichen? Bernd Ritsch starrte wieder aus dem Fenster. Zwischen den dunklen Wolken und dem Schleier des Novembernebels brach der Mond für einen Moment durch und sendete sein fahles Licht wie einen Gruß auf das Gesicht des nächtlichen Betrachters. Bernd Ritsch sah hinauf und beobachtete, wie die fast schon volle Scheibe des Trabanten wieder hinter den Wolken verschwand. Ein Schauer lief ihm plötzlich über die Haut und er legte sich wieder ins Bett. Die Kopfschmerzen ließen nach, dafür zwickte ihn nun seine dreiteilige Narbe, die von der Brust bis zum Bauchnabel verlief und ein Andenken an den vergangenen Urlaub war. Eigentlich war es genau dieser Urlaub, seit dem sich so viel verändert hatte – seit dem er unruhig schlief und die ständigen Streitigkeiten mit Carola begonnen hatten. Vielleicht war es ja doch nur der Stress, der sie beide gefangen hielt, denn Erholung hatten sie nach ihrem
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