Lynettes Erwachen
für das Studium und den Job gelebt. Ist das so schlimm?“
„Der Meinung bin ich schon. Als ich an der Börse war, ging es mir nicht anders. Irgendwann habe ich morgens in den Spiegel gesehen und ein Fremder starrte mich an.“ Ein spitzbübisches Lächeln glitt über sein Gesicht. „Du stehst also auf Männer in Strumpfhosen?“
„Ich liebe Ballett. Als Kind habe ich selbst getanzt.“
„Du bist eine Primaballerina?“
„Nicht wirklich.“ Sie lachte, aber die Erinnerungen ließen es traurig und aufgesetzt klingen. Elias ergriff ihre Hand, die auf ihrem Schoß lag.
„Was ist passiert? Ein Unfall?“
„Nein.“ Lynette schluckte schwer an ihrer Vergangenheit und sah aus dem Fenster. „Ich habe gemerkt, dass meine kleine heile Welt doch nicht so perfekt ist, wie ich dachte. Bitte, ich möchte heute Abend nicht darüber reden. Du weißt bereits viel zu viel von mir. Ich möchte einen unbeschwerten Abend genießen.“
„Den sollst du haben. Versprochen! Ich bin schon gespannt, dich tanzen zu sehen.“
Sie lächelte und beobachtete, wie er ihre Finger an die Lippen führte.
„Wir sind da, Sir.“
Lynette spürte Enttäuschung, als Elias ihre Hand losließ. Sie hätte diese zärtliche Berührung gern gespürt. Stattdessen bezahlte er den Fahrer und half ihr beim Aussteigen.
Lynette bekam große Augen, als sie die kleine, gemütliche Kneipe betraten. Überall standen Männer in Anzügen und Frauen in feinen Kleidern oder Kostümen. In der Jeans fühlte sie sich fast underdressed. Elias drängte sie sanft an die Bar und setzte sich auf einen Barhocker. Lynette hüpfte auf das hohe Möbel und grinste frech. „Ist anders, als ich es mir vorgestellt habe.“
„Wie hattest du es dir vorgestellt – verräuchert, laut und muffig?“
„Nicht so viele Snobs.“
Sie lachten, und etwas von Lynettes Anspannung fiel ab.
„Was darf es denn sein?“, fragte ein stämmiger, vollbärtiger Barmann im Holzfällerhemd.
„Ich hätte gern einen Bellini“, sagte Lynette freudestrahlend.
„Kindchen, das ist ein Pub, keine Cocktailbar. Wir haben hervorragenden Whisky und Bier.“
„Haben Sie gerade Kindchen zu mir gesagt?“
Lynette versuchte, verärgert zu klingen, war jedoch derartig überdreht, dass sie sich vielmehr das Lachen verkneifen musste. Dieser unverschämte Kerl von einem Barmann verzog keine Miene. Er stand da und musterte sie.
„Dann nehme ich ein Bier, bitte süß und malzig.“
„Mild.“
„Bitte?“
„Bier ist mild, nicht süß.“
Brummend ging er an den Zapfhahn und füllte ein fast schwarzes Bier ab. Irritiert drehte sie sich zu Elias um. „Möchtest du nichts?“
„Angus weiß, was ich trinke. Ich bin oft in diesem Pub.“
„Du hast mich wieder reingelegt.“
Skeptisch sah sie auf das Bier, als Angus es vor sie auf den Tresen stellte. Elias bekam ein kantiges Glas mit einer bernsteinfarbenen Flüssigkeit darin – Whisky. Während Lynette von dem Bier trank, zog sie die Augenbrauen hoch. „Mmmm! Ist gar nicht schlecht.“
„Sag ich doch“, brummte Angus. „Lasst es euch schmecken.“
„Der ist aber grummelig.“
„Angus ist so. Ich kenne ihn bereits eine Weile. Ein lieber, netter Kerl, auf den man sich verlassen kann.“
„Ihr seid befreundet?“
„So weit würde ich nicht gehen, wir verstehen uns gut.“
„Kann es sein, dass es dir schwerfällt, Menschen zu vertrauen?“, fragte Lynette provozierend grinsend.
„Vertrauen muss man sich verdienen, und ehe ich einen Menschen Freund nenne, muss ich einiges mit ihm erlebt haben. Ich bin nicht prinzipiell misstrauisch, wie manch anderer hier. Mit dem Wort Freund gehe ich jedoch sehr sparsam um.“
„Das klingt sehr weise. Erzähl mir von dir.“
„Was möchtest du wissen?“
„Prinzipiell möchte ich alles wissen, und ich habe viele Fragen.“
Lynette legte einen Finger an die Wange, ebenso, wie es Elias vorhin im Taxi getan hatte. „Hmmm? Fangen wir damit an: Wie hast du von deinen Neigungen erfahren?“
„Was für Neigungen habe ich denn?“
Sie grollte tief in der Kehle. „Du hast versprochen, mir alle Fragen zu beantworten. Du bist doch Sadist?“
„Du gehst ja ganz schön ran.“
„Ich bin neugierig.“
„Hmmm? Um deine Frage zu beantworten, nein, nicht wirklich.“
Jetzt hatte er sie überrumpelt. „Nicht?“
„Nein, ich bin sexuell dominant.“
War das nicht dasselbe? Er versuchte wieder, sie zu verunsichern. Heute würde sie sich nicht überrumpeln lassen.
„Und wie hast du das
Weitere Kostenlose Bücher