Lynettes Erwachen
nahm ihre Hand und küsste diese. Die Augen schienen zu lachen, und Lynette fühlte eine Nähe zu ihm, die sie sonst nur im Beisein von Elias verspürte. Doch die Nähe zu Vasili fühlte sich leichter an, ungezwungener – nein – unverbindlicher. Diese Nähe entstand durch die Liebe zum Ballett und hatte rein gar nichts mit sexueller Anziehungskraft zu tun.
„Lieben Sie auch Musik?“, fragte Vasili.
„Das kommt darauf an.“
„Können Sie Klavier spielen?“
„Ja, warum?“
„Ich habe da drüben eines entdeckt.“ Er deutete links hinter die Theke. Das Klavier war Lynette noch nie aufgefallen.
„Würden Sie mir die Ehre erweisen, mit mir zu spielen?“
„Sie meinen Klavier?“, fragte Lynette keck.
Vasili lachte, ein unglaublich volles und sinnliches Lachen.
„Natürlich! Ich bin mit meinem Master verabredet. Keine Angst, ich haben nicht die Absicht, Sie zu verführen.“
„Wer spielt da?“ Elias kam die Treppe herunter, als Ryan aus der Bar trat.
„Lynette und ein Typ, den ich nicht kenne. Vielleicht solltest du mal nach ihr schauen. Deine Kleine macht einen ausgelassenen Eindruck. Nicht, dass sie dir noch wegläuft.“
Elias stürzte in die Bar und blieb wie angewurzelt stehen. Vasili und Lynette saßen am Klavier, spielten ein zweihändiges Stück von Tschaikowsky, und beide hatten einen verklärten Gesichtsausdruck. Die Musik war schwer und klagend, und sie schienen vollkommen in deren Bann geraten zu sein. Als das Stück zu Ende war, erscholl Beifall, und dieser Vasili nahm Lynettes Hand und küsste diese. Unbefangen strahlte sie den Kerl an, ohne Scheu.
„Er ist umwerfend, nicht wahr?“ Angus stand plötzlich neben ihm. „Die Musik ist sein Leben.“
„Hast du ihn mitgebracht?“ Elias’ Stimme klang ärgerlicher, als es nötig war. Hätte Lynette sich zu Vasili hingezogen gefühlt, könnte sie nicht so ungezwungen mit ihm umgehen. Angus lachte dröhnend. Elias beobachtete den Russen, der sich verwirrt umschaute.
Plötzlich versteifte sich Vasili neben ihr. Dessen Blick huschte durch die Bar, wurde unstet. Überrascht beobachtet Lynette diese Reaktion. Vasili senkte die Lider, und die Atmung hatte sich beschleunigt. Kaum zu glauben, Vasili reagierte genauso auf dieses lautstarke Lachen wie sie auf Elias.
Ein großer Schatten fiel auf sie beide, und als Lynette den Kopf hob, blieb ihr fast das Herz stehen. Mit unbewegter Miene stand Angus neben Vasili, in schwarzes Leder gekleidet.
„Amüsierst du dich gut?“
Ein verheißungsvolles Vibrieren lag in Angus’ dunkler, dröhnender Stimme. Vasili sagte nichts. Angus erwartete scheinbar keine Antwort. Mit einem Zwinkern für Lynette wandte er sich um und verließ die Bar.
„Ich hoffe, wir sehen uns irgendwann wieder, Lynette“, flüsterte Vasili und folgte Angus mit sichtbar wackeligem Gang.
Erst Elias’ Lachen riss sie aus der Starre. „Mach den Mund zu, Schatz. Er ist halt auch nur ein Mensch, kein Gott.“
Fassungslos starrte sie ihn an, dann die Tür, durch die Vasili verschwunden war. Elias nahm neben ihr Platz und stupste sie mit dem Ellbogen an.
„Spiel was für mich. Ich hatte keine Ahnung, was für Begabungen du hast.“
Benommen schüttelte sie den Kopf. „Meine Hände zittern zu sehr, um zu spielen.“
„Wegen Angus oder Vasili?“
„Ich habe nicht die leiseste Ahnung.“
„Bist du erregt?“
„Nein, fassungslos.“
Elias klimperte auf den Tasten herum.
„Lass das“, lachte Lynette. „Du bist grauenvoll schlecht.“
Sie spielte eine Sonate von Chopin. In der Bar war es mucksmäuschenstill. Alle ließen sich von der klagenden Musik verzaubern.
„Das war wunderschön“, hauchte Elias ihr in den Nacken, als sie das Stück beendete und Beifall erklang.
„Zehn Jahre Klavierunterricht und klassisches Ballett. Irgendwas musste ja hängen bleiben.“
Elias’ Blick wurde dunkler, und Lynette sah, dass er ihr auf den Hals starrte. Der heftige Schlag ihres Herzens musste deutlich zu sehen sein.
„Jetzt bin ich erregt“, flüsterte sie und sah ihm tief in die Augen.
„Lass uns gehen.“
Er zerrte sie nicht durch die Bar oder kompromittierte sie in irgendeiner Weise. Sanft ergriff Elias ihre Hand und führte sie an seiner Seite in den ersten Stock des Clubs. Mit einer einladenden Geste öffnete er die Tür und hieß sie eintreten.
Der Raum war tatsächlich leer, außer, dass er von unzähligen Kerzen erhellt wurde. Diese standen im Kreis aufgebaut und ließen eine Fläche von circa
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