Lyon - A.M.O.R. 01
hast gesagt, du willst mir helfen. Wobei?“
Ihr langer Schwanz peitschte unruhig über den Boden. „Du siehst hungrig aus. Willst du dich nicht erst nähren?“
Beinahe hätte er aufgelacht. Ja, er war ums Verrecken verdammt hungrig, aber die offensichtlichen Ausflüchte der Geisterkatze machten ihn noch ne u gieriger. Wenn er sich doch nur erinnern könnte, was er über sie gehört hatte. Es waren mehrere … „Wie viele Schwestern hast du?“
Tropical grinste, als wäre sie froh über die einfache Frage, die von der vorh e rigen ablenkte. „Drei. Blizzard, die Eingebildete. Thunder, die Muffelige und Chilli, die Besserwisserin.“
„Wo sind sie?“
„Och, mal hier und mal da. Sie suchen ihrerseits ihren vorherbestimmten Schützling. Wenn man der Prophezeiung Glauben schenkt, müssten auch sie bald ihre Kerle gefunden haben.“
Lyons Fänge vibrierten im Kiefer. Es fiel ihm schwer, seine wahre Natur e i nes wilden Raubtieres ob der verbalen Degradierungen zu zügeln. Doch er ließ es sich nicht anmerken. Hoffte er. „Und hättest du die Güte, mir zu berichten, um welche mystische Vorhersage es sich handelt ? “
Tropical besah sich prüfend die spitzen Krallen ihrer Pfote. „Kennst du die AMOR?“
„Du meinst Amorphen?“
„Nein. Ich meine, was ich sage. AMOR. Dann also nicht, hm?“
Lyon kam sich vor wie ein Knabe auf der Schulbank. Da war etwas tief ve r graben in seinem Gehirn, doch es war nicht zu greifen. Als würde ein Za u ber die Gedanken daran b lockieren. Das war äußerst grus e lig und ebenso ärge r lich. „Ich kenne die Amor nicht“, gab er widerwillig zu. „Aber du bist ja ansche i nend da, um mich aufzuklären.“
Tropicals bernsteinfarbene Augen mit den geschlitzten Pupillen sahen zu ihm auf. Listig, aber leicht verunsichert. „Ja, bin ich …“ Sie löste sich geiste r haft in Nichts auf. „… wenn du mal bessere Laune hast.“
Lyon schloss die Augen. Welcher Rachegott schickte ihm eine kindische, z i ckige Mieze, die seine Nerven strapazierte und seinen eh schon verwirrten Geist mit Unsinn fütterte? Er hob den Kopf, weil er Nahrung wi t terte. Rasch bog er um ein paar Häuserecken und stand plötzlich vor den Stufen eines B e erdigungsinstituts. Ein kleiner Junge mit rot geweinten Augen saß halb ve r steckt an der Ecke des Gebäudes und blickte ihn verstohlen an.
Lyon schluckte, senkte die erhobenen Hände, prüfte kurz, ob weitere Me n schen in der Nähe waren. Der gepflasterte Platz lag einsam, dicke Regenwo l ken zogen über den Himmel, ein kühler Wind wehte ihm das lange Haar ins Gesicht. Hatte er jetzt völlig seine Instinkte verloren? Er würde sich doch niemals von einem Kind nähren.
„Hast du auch wen verlorn?“
Er wollte fort, ihm war nicht nach reden zumute, doch er blieb. Er sollte sich nicht einfach in Luft auflösen oder als Tier davonspringen. Der Arme trauerte aus tiefstem Herzen. Lyon nickte.
„Hm. Schade, nicht ? “
Lyon zog die Brauen hoch, bändigte seine Mähne.
„Dass sie nicht mehr da sind, mein ich.“ Das Kind schniefte und wischte sich mit dem Ärmel über die Augen. Es zitterte.
Unweigerlich dachte er an seine Schwester Semi, an Josh, seine Eltern, Freunde, Bekannte, Gefolgsleute. „Es ist sehr schwer.“
„Ob sie auch so frieren wie ich?“
„Wie?“ Lyon sondierte die Umgebung. Der Kleine schien allein.
„Na, die sind nu doch da oben.“ Er warf einen Blick auf die gewitterschw e ren Wolken.
Lyon musste trotz seiner düsteren Gedanken lächeln. Und Vampire schli e fen in Särgen und entstiegen des Nachts einer Gruft. Er schüttelte den Kopf. „Nein, mein Junge, ich weiß aus sicherer Quelle, dass sie es angenehm warm dort oben haben.“
Der Knabe riss die Augen und den Mund auf, klappte ihn aber umgehend wieder zu. Das Erstaunen wich jedoch nicht. Er schien nachzudenken, das sah Lyon seinem Gesicht an. Er nickte, sagte aber nicht, zu welchem Ergebnis er gelangt war.
„Wo sind deine Eltern?“
Er blickte zu Boden. „Die kommn gleich.“
Der Knirps fror erbärmlich, seine Nase glänzte rot. Lyon checkte ihn mental durch. Oh my! Sein Hintern hatte die Temperatur von Tiefkühlfleisch. „Soll ich so lange mit dir warten?“
Ein strahlendes Gesichtchen sah ihn an. „Hmhm.“
Lyon zog seinen Mantel aus und hielt ihn dem Jungen hin. „Der wärmt dich. Das ist dann wie dort oben, aber nur fast.“
Dem Kleinen entwich ein erstickter Laut. Er richtete sich auf und ließ sich steif den Ledermantel über die
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