Lyonesse 1 - Herrscher von Lyonesse
die Steinplatten aus dem Boden zu lösen in der Absicht, sie aufeinanderzustapeln und so den Schacht zu erreichen, aber die Fugen waren zu schmal und die Blöcke zu schwer. Auch dieses Vorhaben mußte er aufgeben.
Die Tage vergingen, einer nach dem anderen, und auch die Monate. Auch im Garten vergingen die Tage und Monate, und Suldrun schwoll von dem Kinde, das sie von Aillas empfangen hatte.
König Casmir hatte allen das Betreten des Gartens verboten, einzig eine taubstumme Küchenmagd durfte ihn betreten.
Bruder Umphred indes betrachtete sich in seiner Eigenschaft als Priester des geistlichen Standes als von diesem Banne ausgenommen und besuchte Suldrun nach ungefähr drei Monaten. In der Hoffnung, Neuigkeiten zu erfahren, duldete Suldrun seine Anwesenheit, aber Bruder Umphred vermochte ihr nichts zu sagen. Er äußerte die Vermutung, daß Aillas die volle Wucht von König Casmirs Grimm zu spüren bekommen hatte, und da Suldrun das gleiche glaubte, stellte sie ihm keine weiteren Fragen. Bruder Umphred unternahm ein paar halbherzige Annäherungsversuche, woraufhin Suldrun in die Kapelle ging und die Tür schloß. Bruder Umphred ging fort, ohne bemerkt zu haben, daß Suldruns Leib bereits anzuschwellen begonnen hatte.
Drei Monate später kam er wieder, und nun war Suldruns Zustand offenbar.
Bruder Umphred bemerkte hinterhältig: »Suldrun, mein Liebes, du bist dicker geworden.«
Wortlos stand Suldrun auf und ging in die Kapelle. Bruder Umphred blieb noch eine Weile sitzen und überlegte. Dann ging er zurück und nahm Einsicht in sein Kirchenbuch. Vom Datum der Trauung ausgehend rechnete er nach vorn und erhielt so ein ungefähres Geburtsdatum. Da die Empfängnis mehrere Wochen vor der Trauung stattgefunden hatte, lag er
mit seinem Datum um genau diese Spanne zu weit vorn – ein Detail, das Bruder Umphreds Aufmerksamkeit entging. Die große Tatsache war, Suldrun war schwanger. Wie, so sann Bruder Umphred, konnte er am besten Profit aus diesem Wissen schlagen, über das der Lage der Dinge nach nur er zu verfügen schien?
Wochen verstrichen. Bruder Umphred schmiedete hundert Pläne, aber keiner brachte ihm Vorteil, und so hielt er seinen Mund.
Suldrun war sich sehr wohl im klaren darüber, daß Bruder Umphred etwas im Schilde führte. Ihre Sorge wuchs, als die Zeit ihrer Niederkunft heranrückte. Früher oder später würde Bruder Umphred sich an König Casmir heranschleichen und ihm in seiner unnachahmlichen Mischung aus Unterwürfigkeit und Frechheit ihr kostbares Geheimnis verraten.
Was dann? Sie wagte nicht, sich auszumalen, was dann geschehen würde. Was immer es sein würde, es würde nicht nach ihrem Geschmack sein.
Die Zeit wurde knapp. In einer plötzlichen Aufwallung von Panik klomm Suldrun den Hügel hinauf und über die Mauer. Sie versteckte sich an einer Stelle, von der aus sie die Bauern auf ihrem Weg zum und vom Markt beobachten konnte.
Am zweiten Tag erblickte sie Ehirme, die nach einem unterdrückten Aufschrei des Erstaunens über die Steine und in den Garten kletterte. Sie weinte und herzte Suldrun und wollte wissen, was mit dem Fluchtplan schiefgelaufen war. Alles war bereit gewesen!
Suldrun erklärte es ihr, so gut sie konnte. »Und Aillas? Was ist mit ihm?«
Suldrun wußte keine Antwort. Das Schweigen war düster. Aillas mußte als tot betrachtet werden. Erneut brachen beide in Tränen aus, und Ehirme verfluchte den ruchlosen Tyrannen, der solches Elend über sein eigen Fleisch und Blut gebracht hatte.
Ehirme zählte die Monate und Tage. Sie schätzte die Zeit anhand der Zyklen des Mondes und errechnete so den ungefähren Zeitraum, innerhalb dessen Suldrun mit höchster Wahrscheinlichkeit niederkommen würde. Die Zeit war nicht mehr fern, vielleicht fünf Tage noch, vielleicht zehn, keinesfalls mehr, und alles ohne auch nur eine Spur von Vorbereitung.
»Du wirst wieder weglaufen, noch heute nacht!« befahl Ehirme.
Kopfschüttelnd verwarf Suldrun diese Idee. »Du wärst die erste, an die sie denken würden, und fürchterliche Dinge würden geschehen.«
»Und was wird mit dem Kind? Sie werden es dir wegnehmen.« Erneut vermochte Suldrun die Tränen nicht zurückzuhalten, und Ehirme drückte sie fest an sich. »Höre! Mir kommt eben ein schlauer Gedanke! Meine Nichte ist blöde; schon dreimal ward sie von dem Stallburschen geschwängert, der auch blöde ist. Die ersten zwei Kinder starben gleich nach der Geburt an schierer Verwirrung. Sie liegt schon in den Wehen und wird bald ihren
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