Lyonesse 1 - Herrscher von Lyonesse
um. Dies war nicht Ys, und Carfilhiot schleuderte einen grimmigen Fluch gegen Melancthe.
Der Platz erscholl von den Geräuschen eines lärmenden Festes. Tausend Fackeln brannten an den Häuserwänden ringsum, tausend grüne und blaue Fahnen, auf die ein gelber Vogel aufgenäht war, hingen aus den Fenstern oder flatterten im Wind. In der Mitte des Platzes standen sich zwei große, aus Stroh-bündeln und Stricken gefertigte Vögel gegenüber. Auf einer Plattform tanzten und hüpften Männer und Frauen in bunten, phantasievollen Vogelkostümen zu den Klängen von Flöten und Trommeln.
Ein als Hahn verkleideter Mann mit rotem Kamm, gelbem Schnabel und weißgefiederten Schwingen und Schwanz stolzierte vorbei. Carfilhiot hielt ihn am Arm fest. »Herr, einen Augenblick! Klärt mich auf; an welchem Ort befinde ich mich?«
Der Hahnenmann krähte belustigt auf. »Habt Ihr keine Augen? Keine Ohren? Dies ist die Große Gala der Vogelkünste!«
»Gewiß, aber wo?«
»Wo schon? Dies ist der Kaspodel, im Zentrum der Stadt?«
»Aber welcher Stadt? Welchen Reiches?«
»Seid Ihr Eurer Sinne verlustig gegangen? Des ist Gargano!«
»In Pomperol?«
»Ganz recht. Aber wo sind Eure Schwanzfedern? König Deuel hat für die Gala Federstaat angeordnet! Beachtet mein prachtvolles Gefieder!« Der Hahnenmann stelzte und hüpfte im Kreis um Carfilhiot herum und protzte mit seinen hübschen weißen Schwanzfedern. Dann setzte er seinen Weg fort.
Carfilhiot lehnte sich an eine Hauswand und knirschte vor Wut mit den Zähnen. Er hatte weder Münzen noch Juwelen noch Gold bei sich; er hatte keine Freunde in Gargano; im Gegenteil – der verrückte König Deuel betrachtete Carfilhiot als einen gefährlichen Vogelmörder und mithin als schlimmen Feind.
Am Rande des Platzes entdeckte Carfilhiot das Schild eines Gasthofs: »Zum Birnenbaum.« Vom Wirt mußte er jedoch erfahren, daß sämtliche Zimmer belegt waren. Daraufhin setzte er die aristokratischste Miene auf, deren er fähig war, doch brachte selbst diese ihm nicht mehr ein als die Erlaubnis, auf einer Bank im Schankraum zu nächtigen, direkt neben einer fröhlichen Zechergruppe, die grölte und katzbalgte und Lieder sang wie
Ein Vogel wollte Hochzeit halten in dem grünen Walde
,
Kommt ein Vöglein geflogen
und
Frau Strauß und Herr Sperling
. Eine Stunde vor dem Morgengrauen fiel endlich der letzte von ihnen mit trunkenem Gelall vornüber auf die Tischplatte, und da lagen sie nun und schnarchten zwischen abgenagten Schweinefüßen und Weinpfützen um die Wette. Doch war Carfilhiots Schlaf, ohnehin unruhig und unbequem auf der harten Holzbank, nur von kurzer Dauer. Nach zwei Stunden kam die Reinmachefrau mit Eimern und Schrubbern und setzte alle an die Luft.
Das Fest war trotz der frühen Stunde schon in vollem Gange. Überall flatterten blaue, grüne und gelbe Fähnchen und Wimpel. Jung und alt hüpfte, stolzierte und tollte in farbenfrohem Vogelkostüm zum lustigen Flöten- und Trommelspiel der Musikanten. Jeder war bemüht, eine charakteristische Vogelstimme zu imitieren, so daß die Luft erfüllt war von ohrenbetäubendem Schilpen, Zwitschern, Pfeifen, Krähen und Krächzen. Die Kinder gingen als Schwalben, Goldfinken oder Blaumeisen; die Älteren gaben den würdigeren, gesetzteren Erscheinungsbildern den Vorzug, wie Krähen, Raben oder Hähern. Die Dicken hatten sich bevorzugt als Eulen ausstaffiert, aber die meisten hatten bei der Wahl ihres Kostüms der Phantasie freien Lauf gelassen.
Doch vermochten weder die Farbenpracht noch die Musik, noch die ausgelassene Feststimmung Carfilhiots Stimmung aufzuhellen. Im Gegenteil, noch nie, so fand er, hatte er einen derart hanebüchenen Unfug erlebt. Er hatte schlecht geschlafen und nichts gegessen; beides verstärkte seine mürrische Laune noch.
Ein als Wachtel verkleideter Krapfenverkäufer kam des Weges. Carfilhiot erwarb einen Krapfen, wobei ihm ein Silberknopf von seinem Mantel als Zahlungsmittel diente. Er aß den Krapfen im Stehen vor dem Gasthof, das festliche Treiben mit verächtlichen Blicken verfolgend.
Eine Gruppe junger Burschen bemerkte Carfilhiots herablassendes Hohnlächeln und blieb vor ihm stehen. »Heda! Heut ist der Tag der Großen Gala! Ihr müßt ein fröhliches Lächeln zeigen, wie alle andern auch!«
Ein anderer rief: »Was? Kein farbenfrohes Federkleid? Keine Schwanzfedern? Sie werden von jedem Festgast verlangt!«
»Kommt!« rief ein anderer. »Das müssen wir gleich in Ordnung bringen!« Er huschte hinter
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