Lyonesse 1 - Herrscher von Lyonesse
Stadt Lyonesse. An ihrer Spitze ritt Herzog Carfilhiot, hoch im Sattel aufgerichtet und von selbstbewußter Gelassenheit: ein Mann mit schwarzem Lockenhaar, auf Ohrhöhe gestutzt, mit heller Haut, ebenmäßigen und feinen Zügen, die indes ein wenig streng wirkten – mit Ausnahme des Mundes, der dem eines gefühlvollen Poeten glich.
Im Zeughaus-Hof hielt der Trupp an. Carfilhiot saß ab, und sein Pferd wurde von zwei Stallknechten im Grün und Lavendel Haidions weggeführt. Sein Gefolge stieg ebenfalls ab und nahm hinter ihm Aufstellung.
König Casmir schritt von der oberen Terrasse herunter und überquerte den Hof. Herzog Carfilhiot vollführte eine höfliche Verbeugung. Seine Begleiter folgten seinem Beispiel.
»Willkommen!« sprach König Casmir. »Willkommen auf Haidion!«
»Eure Gastfreundschaft ehrt mich.« Carfilhiots Stimme war fest, volltönend und wohlmoduliert, wenngleich es ihr ein wenig an Timbre gebrach.
»Ich darf Euch in die Obhut meines Seneschalls Sir Mungo, entlassen. Er wird Euch auf Eure Gemächer führen. Ein Imbiß wird schon bereitet, und wenn Ihr Euch erfrischt habt, werden wir auf der Terrasse ein zwangloses Mahl einnehmen.«
Eine Stunde später trat Carfilhiot auf die Terrasse. Er trug jetzt ein Gewand aus grau und schwarz gestreifter Seide, dazu schwarze Hosen und schwarze Schuhe – ein ungewöhnliches Kleid, welches sein ohnehin schon dramatisches Auftreten noch unterstrich.
König Casmir erwartete ihn an der Balustrade. Carfilhiot verbeugte sich. »König Casmir, schon beginne ich Gefallen an meinem Besuch zu finden. Der Palast Haidion ist der prachtvollste der Älteren Inseln. Unvergleichlich ist der Ausblick, den er über die Stadt und das Meer gewährt.«
König Casmir legte majestätische Höflichkeit in seine Stimme. »Ich hoffe, Euer Besuch wird sich oft wiederholen. Wir sind schließlich enge Nachbarn.«
»So ist es!« antwortete Carfilhiot. »Zu meinem Bedauern werde ich von lästigen Problemen geplagt, die mich ganz auf meiner Burg in Anspruch nehmen. Probleme, wie sie Lyonesse glücklicherweise unbekannt sind.«
König Casmir hob die Augenbrauen. »Probleme? Auch wir sind keineswegs immun! Ich zähle so viele Probleme, wie es Troicer in Troicinet gibt!«
Carfilhiot lachte höflich. »Zur gehörigen Zeit müssen wir Mitleidsbekundungen austauschen.«
»Ich würde ebensogern meine Probleme gegen Eure austauschen.«
»Meine Räuber, Wegelagerer und Renegatenbarone gegen Eure Blockade? Mich deucht, es wäre für jeden von uns beiden ein schlechter Tausch.«
»Als Anreiz könntet Ihr vielleicht tausend Eurer Ska mit in den Handel dreingeben wollen.«
»Hah! Wenn es meine Ska wären, gerne. Aus irgendeinem undurchschaubaren Grund meiden sie Süd-Ulfland, obwohl sie im Norden fürwahr fröhlich genug herumwüten.«
Zwei Herolde bliesen eine helle, wohlklingende Fanfare, das Erscheinen von Königin Sollace und einem Troß ihrer Damen anzukündigen.
König Casmir und Carfilhiot wandten sich, sie zu begrüßen. König Casmir stellte seinen Gast vor. Königin Sollace quittierte die Komplimente Carfilhiots mit einem schmeichelnden, eindringlichen Blick, den Carfilhiot huldvoll ignorierte.
Die Zeit verging. König Casmir wurde ungeduldig. Immer häufiger schaute er über die Schulter zum Palast hinüber. Schließlich murmelte er einem Lakaien etwas zu, und weitere fünf Minuten verstrichen.
Die Herolde hoben ihre Trompeten an die Lippen und bliesen erneut eine Fanfare. Auf die Terrasse kam Suldrun gelaufen, in torkelndem Schritt, so als hätte ihr jemand einen Schubs gegeben. Im Schatten hinter ihr leuchtete einen kurzen Moment lang das wutverzerrte Gesicht Lady Desdeas auf.
Mit ernstem Gesicht näherte sich Suldrun der Tafel. Ihr Gewand aus weichem, rosafarbenem Stoff paßte sich eng an ihren Körper an. Unter einer runden weißen Kappe quollen goldene Locken hervor und flossen auf ihre Schultern.
Langsam trat Suldrun vor, gefolgt von Lia und Tuissany. Sie blieb stehen, blickte über die Terrasse, streifte Carfilhiot mit ihrem Blick. Ein Haushofmeister nahte mit einem Tablett. Suldrun und ihre Jungfern nahmen sich Weinkelche, dann stellten sie sich sittsam ein paar Schritte abseits und tuschelten unsicher miteinander.
König Casmir verfolgte die Szene mit gesenkten Brauen, und schließlich wandte er sich an Sir Mungo, seinen Seneschall. »Teilt der Prinzessin mit, daß wir ihrer Aufwartung harren.« Sir Mungo richtete die Botschaft aus. Suldrun hörte mit sinkendem
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