Lyonesse 2 - Die grüne Perle
Tatzel? Wo war der ›Jüngling‹ in Dunkelgrün mit der schwarzen Mütze?
Sie war nirgends zu sehen.
Aillas lachte. Er brachte sein Pferd zum Stehen und schaute zu, wie Sir Balor und sein Trupp durch das Waldstück stoben und auf der anderen Seite wieder herauskamen. Der Abstand zu den Ska war jetzt auf vielleicht hundert Schritt zusammengeschrumpft.
Aillas hielt den Blick auf den Waldsaum gerichtet. Sobald die ulfischen Truppen das Waldstück passiert hatten, tauchte eine einzelne Reiterin zwischen den Bäumen auf und sprengte in vollem Galopp nach Burg Sank, von wo sie zweifelsohne Hilfe für jene holen wollte, die sich in der alten Festung in Bedrängnis befanden.
Ihr Kurs würde sie ein wenig in nördlicher Richtung von Aillas wegführen. Er studierte das Gelände, dann riß er sein Pferd herum und hielt genau auf den Punkt zu, an welchem er sie am ehesten abfangen zu können hoffte.
Tatzel kam näher. Tief über den Hals des Pferdes gebeugt, jagte sie dahin, die kurzen schwarzen Lokken vom Winde zerzaust. Sie wandte den Kopf, und Bestürzung trat in ihr Gesicht, als sie Aillas gewahrte, der in rasendem Galopp von der Seite herangeflogen kam. Mit einem Schrei des Entsetzens riß sie an den Zügeln und lenkte ihr Pferd nach Norden, weg von Burg Sank, in eine Richtung, die zu erkunden Aillas alles andere als erpicht war. Tollkühn oder klug – Aillas zögerte nicht einen Moment lang: noch nie zuvor hatte er eine so kostbare Beute gejagt, und er mußte ihr folgen auf Gedeih und Verderb, ganz gleich, wohin auch immer es ihn verschlagen würde. Und so begann eine wilde Hatz über das Moor von Nord-Ulfland.
Tatzel ritt eine junge schwarze Stute, geschmeidig und langbeinig, aber von geringer Lungenfülle und vielleicht noch geringerer Ausdauer. Aillas' Rotschimmel war größer und schwerer und auf Stehvermögen hin gezüchtet; Aillas zweifelte nicht daran, daß er Tatzel früher oder später würde einholen können, erst recht auf beschwerlichem Geläuf, und so suchte er denn, sie auf die Berge zuzutreiben: fort von Burg Sank und den Niedermooren, wo sie vielleicht Hilfe in Form einer Ska-Siedlung oder einer weiteren Gruppe von Reisenden finden würde.
Tatzel schien allein darauf bedacht zu sein, die überlegene Schnelligkeit ihres Rosses auszuspielen, aber das Moor bot unsicheres und bisweilen gefährliches Gelände, und keines der beiden Pferde vermochte entscheidend Boden gutzumachen. Eine Meile flog dahin, und noch eine; die Pferde begannen zu erlahmen. Mit dem Vorteil der größeren Ausdauer auf seiner Seite, begann Aillas jetzt langsam aufzuholen, Zoll um Zoll, und er konnte absehen, wann er Tatzel erreichen würde. Mit einer Verzweiflung, wie sie sie noch nie in ihrem Leben gekannt hatte, schwenkte sie scharf ab und sprengte in eine Felsenschlucht, die, zwischen zwei Gebirgsvorsprüngen verlaufend, zu den höheren Moorregionen hinaufführte, wohl in der Hoffnung, in einer Felsspalte Dekkung finden und Aillas so abhängen zu können.
Vergebens. Kein Schlupfwinkel bot sich an; zudem war Aillas nur noch zwanzig Schritt hinter ihr, und es war sehr unwahrscheinlich, daß er sich so würde täuschen lassen. Die Schlucht wurde jetzt mehr und mehr von dichtem Riedgras und Erlendickicht verstopft; Tatzel lenkte ihr Pferd zum Rand der Schlucht, stieg aus dem Sattel und zog ihr Pferd über Simse aus verrottetem schwarzen Fels und zwischen kleinen Gaspeldornbüschen hindurch den Seitenhang hinauf und klomm schließlich zum Rand des Vorsprungs hinauf. Aillas folgte ihr, blieb aber stehen, als Tatzel begann, Steine auf ihn herunterzurollen, was ihn dazu zwang, auf einer anderen Route weiterzuklettern. Dadurch gewann Tatzel ein paar Schritte Vorsprung.
Aillas erreichte den Fuß des Vorsprungs. Als er sich umblickte, war ihm, als könne er unendlich weit in den windigen Atlantikhimmel blicken: über heidekrautbewachsene, grün-graue Moore, dunkle Abhänge, die schwarzen Schmutzflecke endlos ferner Wälder. Tatzel kämpfte sich taumelnd und rutschend zum Rand des Vorsprungs vor, ihre erschöpfte und verängstigte Stute hinter sich herzerrend. Aillas kletterte ihr nach, und Tatzels Vorsprung verringerte sich wieder.
Tatzel stieg wieder auf ihr Pferd und ritt, so gut es eben ging, hinauf zum Plateau. Aillas tat es ihr nach, mußte aber zu seiner großen Enttäuschung feststellen, daß sein Pferd sich beim Anstieg das Bein verdreht hatte und lahmte. Aillas fluchte, zog das Zaumzeug über den Kopf des Pferdes, nahm den
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