Lyonesse 3 - Madouc
einige wenige karge Fakten berichten«, sagte Kerce. »Ich weiß zwar von hundert Religionen, doch Glauben schenke ich keiner davon. Der Heilige Gral ist angeblich der Kelch, den Jesus Christus benützte, als er zum letzten Mal mit seinen Jüngern zu Abend speiste. Der Kelch geriet in die Hände von Joseph von Arimathea, der, so die Überlieferung, das Blut, welches aus den Wunden des gekreuzigten Christus quoll, darin auffing. Später zog Joseph von Arimathea durch die Welt und kam schließlich nach Irland, wo er den Gral auf dem Eiland Inchagoill im nördlich von Galway gelegenen Lough Corrib hinterlegte. Als eine Bande heidnischer Kelten die Inselkapelle bedrohte, brachte ein Mönch namens Vater Sisembert den Kelch auf die Älteren Inseln, und von diesem Punkte an werden die Berichte widersprüchlich. Laut dem einen ist der Kelch in einer Krypta auf der Insel Weamish vergraben. Der andere besagt, daß Vater Sisembert auf seinem Wege durch den Wald von Tantrevalles einem schrecklichen Oger begegnete, der ihn unter dem Vorwand, er hätte es ihm, dem Oger, gegenüber, an der gebotenen Höflichkeit fehlen lassen, auf das übelste mißbrauchte. Eines der drei Häupter des Oger trank des frommen Mannes Blut; ein anderes vertilgte seine Leber. Der dritte Kopf litt an Zahnweh, und da es ihm an Appetit mangelte, fertigte er Würfel aus Sisemberts Knöcheln. Aber vielleicht ist das auch nur eine Schauermär, die sich die Leute in stürmischen Nächten am Feuer erzählen.«
»Und wer mag die Wahrheit kennen?«
Kerce machte eine nachdenkliche Geste. »Wer weiß? Vielleicht ist am Ende alles nicht mehr als eine Legende. Viele edle Ritter haben schon kreuz und quer durch die gesamte Christenwelt nach dem Gral gefahndet, und manch einer von ihnen hat auf seinerSuche auch die Älteren Inseln durchstreift. Einige reisten unglücklich und mit leeren Händen wieder ab; andere starben im Zweikampf oder fielen einem Zauber anheim; wieder andere verschwanden und wurden nie wieder gesehen. Es scheint wahrhaftig mit tödlicher Gefahr verbunden zu sein, den Gral zu suchen!«
»Warum sollte das sein – wenn er nicht irgendwo mit großer Eifersucht gehütet und bewacht wird?«
»Hierzu vermag ich keine Auskunft zu geben. Und vergeßt auch niemals, daß die Suche schließlich und endlich vielleicht nur die Jagd nach einem Traumbild ist!«
»Glaubt Ihr das?«
»Ich habe in dieser Hinsicht keine Meinung. Warum interessiert Euch der Gral so?«
»Königin Sollace will ihre neue Kathedrale mit dem Heiligen Gral schmücken. Sie geht so weit, daß sie dem, der ihr diesen Gegenstand bringt, meine Hand als Belohnung anbietet! Meine eigenen Wünsche wurden selbstverständlich nicht berücksichtigt.«
Kerce gab ein trockenes Kichern von sich. »Langsam verstehe ich Euer Interesse!«
»Wenn ich den Gral selbst fände, wäre ich von diesem Ärgernis befreit.«
»So wäre es wohl – indes, der Gral existiert vielleicht gar nicht mehr.«
»In dem Falle könnte es sehr gut sein, daß irgend jemand der Königin einen falschen Gral anschleppt. Sie würde es nicht merken.«
»Aber ich«, sagte Kerce. »Der Kniff würde nicht gelingen, das kann ich Euch versichern!«
Madouc warf ihm einen schiefen Blick zu. »Wie könnt Ihr da so sicher sein?«
Kerce preßte die Lippen zusammen, als hätte er mehr gesagt, als er eigentlich gewollt hatte. »Es ist ein Geheimnis. Ich werde es mit Euch teilen, wenn Ihr es fest bei Euch behaltet.«
»Ich verspreche es.«
Kerce erhob sich von seinem Stuhl und ging zu einem Schrank. Diesem entnahm er eine Mappe, aus der er eine Zeichnung hervorzog, die er zum Tisch brachte und darauf ausbreitete. Es war die Abbildung eines auf einem Fuß ruhenden hellblauen Kelches von acht Zoll Höhe, beiderseits mit einem Henkel versehen. Die Henkel wichen in Größe und Form leicht voneinander ab. Ein dunkelblauer Streifen zierte den oberen Rand des Kelches; der Fuß wies einen Ring von der gleichen Farbe auf.
»Dies ist eine Zeichnung des Grals. Sie wurde vor langer Zeit von Irland nach dem Kloster auf der Insel Weamish gesandt und von einem der Mönche vor den Goten gerettet. Es ist eine getreue Abbildung, exakt bis hin zu dieser Kerbe im Fuß und der unterschiedlichen Größe der Henkel.« Kerce steckte die Zeichnung in die Mappe zurück und deponierte diese wieder im Schrank. »Jetzt wißt Ihr, was es von dem Gral zu wissen gibt. Ich ziehe es vor, die Zeichnung unter Verschluß zu halten – aus verschiedenen
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