Lyonesse 3 - Madouc
eine Zweideutigkeit.«
Madouc zuckte die Achseln und wandte sich ab. Als sie sich vergewissert hatte, daß Brezante ihr nicht folgte, ging sie um die Vorderseite der Burg herum zum Anfang des Kreuzgangs und bog dort seitwärts in die Orangerie ab. Sie zog sich in eine Ecke zurück und legte sich ins sonnenbeschienene Gras.
Sie lag eine ganze Weile da und sann. Schließlich setzte sie sich auf. Es war anstrengend, gleichzeitig so viele Gedanken zu denken und so viele Entscheidungen zu fällen.
Eines nach dem andern, dachte Madouc. Sie erhob sich und klopfte sich das Gras vom Kleid. Sodann begab sie sich in den Salon der Königin.
Sollace hatte sich ebenfalls von der Tribüne entschuldigt, unter dem Vorwand dringender Besprechungen. Sie hatte sich in ihren Salon verfügt und war dort eingedöst. Als Madouc hereinkam, blinzelte sie schlaftrunken zwischen ihren Kissen hervor. »Was ist denn nun schon wieder?«
»Eure Majestät, ich bin beunruhigt ob der Proklamation des Königs.«
Königin Sollace war immer noch ein wenig benommen und daher noch einigermaßen begriffsstutzig. »Ich vermag deine Besorgnis nicht zu begreifen. Jede Kathedrale von Rang ist berühmt für die Güte ihrer Reliquien.«
»Das mag wohl sein. Trotzdem hoffe ich, daß Ihr Euch beim König dafür ins Mittel legen werdet, daß meine Hand nicht zu den Wohltaten gehören möge, die den Findern solcher Reliquien erwiesen werden. Ich möchte nicht gegen einen alten Schuh oder einen Zahn oder sonstwelchen Trödelkram eingetauscht werden.«
Sollace sagte ernst: »Es steht nicht in meiner Macht, solche Veränderungen zu bewirken. Der König hat seine Politik wohl durchdacht.«
Madouc machte eine schmollende Miene. »Zumindest hätte er mich vorher fragen können. Ich habe kein Interesse an einer Ehe. Sie erscheint mir in gewisser Weise vulgär und schmutzig.«
Königin Sollace stemmte sich ein wenig höher zwischen ihren Kissen. »Wie du wissen mußt, bin ich mit Seiner Majestät dem König vermählt. Betrachtest du mich als ›vulgär und schmutzig‹?«
Madouc schürzte die Lippen. »Ich kann nur mutmaßen, daß Ihr als Königin von solchen Urteilen ausgenommen seid.«
Königin Sollace ließ sich schmunzelnd in ihre Kissen zurücksinken. »Zu gehöriger Zeit wirst du diese Dinge mit größerer Klarheit verstehen.«
»Vor allem«, schrie Madouc, »ist es unglaublich, daß ich irgendeinen hergelaufenen Tölpel heiraten sollte, bloß weil er euch einen rostigen Nagel bringt, den er womöglich gerade hinter dem Stall gefunden hat!«
»Höchst unwahrscheinlich! Der Verbrecher würde von einem göttlichen Bannstrahl getroffen werden. Ich weiß von Vater Umphred, daß in der Hölle eigens ein Stockwerk für jene geschaffen wurde, die Reliquien fälschen. In jedem Fall ist es ein Risiko, das wir eingehen müssen.«
»Pah!« murmelte Madouc. »Der Plan ist abgeschmackt.«
Wieder wuchtete sich die Königin hoch. »Ich habe deine Bemerkung nicht verstanden.«
»Es war nichts Wichtiges.«
Die Königin nickte majestätisch mit dem Haupt. »Auf jeden Fall mußt du dich der Anordnung des Königs fügen.«
»Jawohl, Eure Hoheit!« sagte Madouc mit jähem Nachdruck. »Genau das werde ich tun! Bitte entschuldigt mich jetzt; ich muß unverzüglich meine Vorbereitungen treffen.«
Madouc machte einen Knicks, wandte sich um und verließ den Raum. Sollace schaute ihr verwundert nach. »Was meint sie mit ›Vorbereitungen treffen‹? So unmittelbar bevor steht die Hochzeit doch nun auch wieder nicht! Und wie in aller Welt würde sie sich bloß darauf vorbereiten wollen?«
6
Madouc lief in flinkem Trabe die Haupthalle hinunter: vorbei an Standbildern altertümlicher Helden, an Urnen, die höher waren als sie selbst, an Nischen, die mit reich gezierten Tischen und Stühlen mit hohen Lehnen möbliert waren. In regelmäßigen Abständen standen Ritter in der scharlach- und goldfarbenen Livree Haidions stramm und regungslos mit aufgestützter Hellebarde auf ihrem Wachtposten. Nur ihre Augen bewegten sich, als Madouc an ihnen vorbeilief.
An einer hohen, schmalen Flügeltür hielt Madouc jäh inne. Sie zögerte einen Moment, dann stieß sie einen der Flügel auf und spähte durch den Spalt in ein langes, dunkles Zimmer, das lediglich durch ein einzelnes schmales Fenster in der hinteren Wand trübe Beleuchtung erhielt. Dies war die Burgbibliothek. Ein blasser Lichtstrahl fiel schräg auf einen Tisch in der Mitte des Raumes; dort saß Kerce, der Bibliothekar,
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