Lyonesse 3 - Madouc
gehorchen.«
»Das ist eine kluge Entscheidung.«
Madouc fuhr wehmütig fort: »Man sollte meinen, daß ich als eine königliche Prinzessin das Recht haben müßte, Quitten zu werfen, wohin ich will und so oft ich will.«
»Das sollte man meinen, aber solches Tun gilt nicht als sittsam, und sittsames Benehmen ist nun einmal vor allem andern die Pflicht einer königlichen Prinzessin!«
»Und was ist mit meiner Mutter, der Prinzessin Suldrun – war sie sittsam?«
Cassander zog die Brauen hoch und warf einen verwunderten Blick auf Madouc. »Welch seltsame Frage! Wie soll ich darauf antworten? In aller Offenheit, ich wäre gezwungen, etwas zu sagen wie: ›ganz und gar nicht‹.«
»Weil sie allein in einem Garten lebte? Oder weil sie mich gebar, als sie nicht vermählt war?«
»Keines von beidem wird als wahrhaft sittsames Verhalten erachtet.«
Madouc schürzte die Lippen. »Ich will mehr über sie wissen, aber niemand will etwas sagen. Warum all diese Heimlichtuerei?«
Cassander lachte traurig. »Weil niemand weiß, was damals geschah.«
»Erzähl mir, was du von meinem Vater weißt.«
Cassander sagte nachdenklich: »Ich kann dir so gut wie nichts über ihn sagen, weil das alles ist, was ich weiß. Dem Vernehmen nach war er ein schöner junger Vagabund, der zufällig Suldrun allein in dem Garten vorfand und ihre Einsamkeit ausnützte.«
»Vielleicht war sie froh, ihn zu sehen.«
Cassander sagte mit wenig überzeugender Geziertheit: »Sie handelte unschicklich, und das ist der einzige Vorwurf, den man Suldrun machen kann. Sein Verhalten jedoch war dreist und unverschämt! Er verhöhnte unsere königliche Würde und hat daher sein Schicksal wohl verdient.«
Madouc sann. »Das ist sehr merkwürdig. Beklagte Suldrun sich über das Benehmen meines Vaters?«
Cassander runzelte die Stirn. »Keineswegs! Das arme kleine Ding scheint ihn geliebt zu haben. Doch pah! Ich weiß wenig von der Geschichte, außer, daß es der Priester Umphred war, der die beiden zusammen ertappte und die Nachricht Seiner Majestät hinterbrachte.«
»Mein armer Vater wurde schrecklich bestraft«, sagte Madouc. »Ich vermag den Grund nicht einzusehen.«
Cassander sprach tugendhaft: »Der Grund ist klar! Es war notwendig, dem Flegel eine strenge Lektion zu erteilen und so alle andern, die von gleichem Sinn waren, abzuschrecken.«
Mit einem plötzlichen Zittern in der Stimme fragte Madouc: »Ist er denn noch am Leben?«
»Das bezweifle ich.«
»Wo ist das Loch, in das man ihn warf?«
Cassander deutete mit dem Daumen über die Schulter. »In den Felsen hinter dem Peinhador. Das Verlies ist hundert Fuß tief und mündet an seinem Grunde in einer kleinen dunklen Zelle. Dort werden unverbesserliche Halunken und Staatsfeinde eingekerkert.«
Madouc blickte zum Hügel, dorthin, wo das graue Dach des Peinhador hinter Zoltra Hellsterns Mauer hervorlugte. »Mein Vater war keiner von diesen.«
Cassander zuckte mit den Schultern. »So lautete das königliche Urteil, und zweifelsohne zu Recht.«
»Aber meine Mutter war eine königliche Prinzessin! Sie hätte gewiß nicht irgendeinen hergelaufenen Strolch geliebt, der zufällig über den Gartenzaun schaute.«
Cassander zuckte erneut die Achseln, um anzuzeigen, daß auch er in dieser Frage ratlos war. »Das sollte man meinen; das räume ich dir ein. Aber – wer weiß? Königliche Prinzessin oder nicht, Suldrun war ein Mädchen, und Mädchen sind Weiber, und Weiber sind so launisch wie Löwenzahnflaum im Wind! Das ist meine Erfahrung.«
»Vielleicht war mein Vater von hoher Geburt«, sinnierte Madouc. »Niemand machte sich die Mühe, ihn zu fragen.«
»Unwahrscheinlich«, sagte Cassander. »Er war ein törichter junger Landstreicher, der seine gerechte Strafe bekommen hat. Bist du nicht überzeugt? So ist das Gesetz der Natur! Jeder Mensch wird an dem ihm gebührenden Platz geboren, an dem er zu bleiben hat, es sei denn, daß sein König ihm Beförderung wegen Tapferkeit im Kriege gewährt. Kein anderes System ist zweckmäßig, richtig oder natürlich.«
»Aber wie verhält es sich dann mit mir?« fragte Madouc beunruhigt. »Wo ist mein ›Stammbaum‹?«
Cassander gab ein bellendes Lachen von sich. »Wer weiß? Dir wurde der Rang einer königlichen Prinzessin gewährt; das sollte genügen.«
Madouc war immer noch nicht zufrieden. »Wurde mein Vater mitsamt seinem ›Stammbaum‹ in das Loch gesteckt?«
Cassander kicherte. »Wenn er überhaupt einen hatte.«
»Aber was ist ein Stammbaum?
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