Lyonesse 3 - Madouc
Möglichkeit ist real; ich kann nicht in alle Richtungen gleichzeitig schauen.«
»Aber wer hat den Willen, eine solche Strategie in die Tat umzusetzen? Gewiß nicht Tamurello!«
»Tamurello vielleicht nicht.«
»Wer sonst?«
»Es gibt da eine Frage, die mich immer wieder plagt. Wenigstens einmal jeden Tag frage ich mich: Wo ist Desmëi?«
»Sie verschwand, nachdem sie Carfilhiot und Melancthe erschaffen hat; so wird allgemein angenommen.«
Murgens Mund verzog sich zu einer skeptischen Grimasse. »War es wirklich gar so simpel? Hat Desmëi wirklich ihre Rache solchen Kreaturen wie Carfilhiot und Melancthe anvertraut – der eine ein Monstrum, die andere eine unglückliche Träumerin?«
»Desmëis Beweggründe waren immer rätselhaft«, sagte Shimrod. »Ich habe sie zugegebenermaßen niemals intensiv studiert.«
Murgen starrte ins Feuer. »Von nichts kam viel. Ihre Bosheit wurde angefeuert von einem scheinbar trivialen Impuls: daß Tamurello sich ihrem erotischen Verlangen verweigerte. Warum dann aber die mühevollen Unterfangen? Warum hat sie sich nicht einfach an Tamurello gerächt? Sollte Melancthe als Instrument ihrer Rache dienen? Wenn ja, dann gingen ihre Pläne schief. Carfilhiot nahm den grünen Rauch in sich auf, während Melancthe kaum seinen Geruch wahrnahm.«
»Dennoch scheint die Erinnerung daran sie zu faszinieren«, sagte Shimrod.
»Man sollte glauben, daß es ein überaus verlockender Stoff ist. Tamurello verzehrte die grüne Perle; jetzt kauert er in der Kugel, und die grüne Suffusionumhüllt ihn bis zum Überdruß. Er zeigt keine Spur von Freude.«
»Das in sich könnte als die Rache Desmëis betrachtet werden.«
»Das scheint zu dürftig. Für Desmëi verkörperte Tamurello nicht nur sich selbst, sondern seine ganze Art. Es gibt keinen Maßstab, um solche Bosheit zu ermessen; man kann sie nur fühlen und staunen.«
»Und entsetzt zurückschaudern.«
»Es ist vielleicht lehrreich zu beachten, daß Desmëi bei der Erschaffung von Melancthe und Carfilhiot eine Dämonenmagie verwandte, die von Xabiste stammt. Das grüne Gas könnte selbst Desmëi sein, in einer Form, die ihr durch die Beschaffenheit von Xabiste auferlegt wurde. Wenn das so ist, dann ist sie zweifelsohne eifrig darauf bedacht, wieder eine herkömmlichere Gestalt anzunehmen.«
»Willst du damit andeuten, daß Desmëi und Tamurello zusammen in der Kugel eingepfercht sind?«
»Es ist nur ein müßiger Gedanke. Unterdessen bewache ich Joald und beschwichtige seine monströse Masse und bewahre ihn vor allem, was seine lange feuchte Ruhe stören könnte. Wenn die Zeit es erlaubt, studiere ich die Dämonenmagie von Xabiste, die schlüpfrig und vieldeutig ist. Das sind die Dinge, mit denen ich mich vorrangig befasse.«
»Du erwähntest, daß du im Begriff warst, mich nach Swer Smod zu rufen.«
»Ganz recht. Das Betragen einer Motte bereitet mir seit kurzem Sorgen.«
»Handelt es sich um eine gewöhnliche Motte?«
»So sollte man meinen.«
»Und ich bin hier, um mich dieser Motte anzunehmen?«
»Die Motte ist bedeutsamer, als du denkst. Gestern, kurz vor der Abenddämmerung, kam ich zur Tür herein und nahm wie gewohnt Notiz von der Kugel. Da sah ich, daß sich eine Motte, offenbar angezogen von dem grünen Licht, auf der Oberfläche der Kugel niedergelassen hatte. Und wie ich so schaute, krabbelte sie zu einer Stelle der Kugel hin, von der aus sie in Tamurellos Augen schauen konnte. Ich rief sofort den Sandestin Rylf, der mich belehrte, daß es sich hier um keine Motte handele, sondern um einen Shybalt von Xabiste.«
Shimrods Kinnlade fiel herunter. »Das ist eine schlechte Nachricht.«
Murgen nickte. »Es bedeutet, daß ein Verbindungsstrang besteht – zwischen dem, was in der Kugel haust, und jemand anderem andernorts.«
»Was geschah dann?«
»Als der Motten-Shybalt wegflog, nahm Rylf die Gestalt einer Libelle an und folgte ihm. Die Motte überquerte das Gebirge und flog das Evandertal hinunter zur Stadt Ys.«
»Und dann den Strand hinunter zu Melancthens Villa?«
»Überraschenderweise nicht. Vielleicht bemerkte der Shybalt, daß er verfolgt wurde. In Ys angekommen, flog er geradewegs zu einer Fackel auf dem Platz, wo er sich unter einen Schwarm von tausend anderen Motten mengte, welche allesamt die Flamme umkreisten – zu Rylfs höchster Verwirrung. Er beobachtete scharf den Schwarm, in der Hoffnung, die Motte zu identifizieren, der er von Swer Smod gefolgt war. Und während er wartete und die schwirrende
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