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Lyra: Roman

Lyra: Roman

Titel: Lyra: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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Gespräche führten, einander allerdings gut genug kannten, um das Misstrauen, das man normalerweise anderen Menschen gegenüber hegt, ablegen zu können. Dabei tat es gut, darüber reden zu können. »Sie haben den Menschen Geschichten geschenkt.«
    »Ich habe sie hinters Licht geführt.« Blake nickte nachdenklich. »Ja, ich habe sie verzaubert, könnte man sagen.« Er vergrub die Hände in den Hosentaschen und blickte zum dichten Wald hinter dem Haus. »Aber ich habe damit aufgehört«, bekannte er. »Komm, Junge, lass uns rüber ins Haus gehen.«
    Danny folgte ihm. Sie gingen weiter den breiten Weg entlang.
    »Woher wusstest du, wie du mich findest?«, wollte Blake wissen.
    »Glück«, sagte Danny nur und versuchte dabei, abgeklärt und lässig zu klingen.
    Blake blieb abrupt stehen. Die blauen Augen waren jetzt Klingen, die in der Sonne blitzten. »Keine Spielchen, Junge, dafür bin ich zu müde. Es war mehr als Glück.«
    Danny erzählte es ihm.
    Tyler Blake konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. »Du bist pfiffiger als die meisten jungen Musiker.«
    »Glaub ich nicht.«
    Blake musterte ihn. »Du hast die Seeger-Songs so gespielt, als würdest du verstehen, was Pete meint.«
    »Es hat Spaß gemacht.« Danny senkte verlegen den Blick.
    »Du bist nicht von dir selbst überzeugt, das ist gut.« Blake schmunzelte und ging weiter. »Weißt du, man braucht Zweifel, um etwas Neues zu erschaffen.« Er schaute zu den Bäumen hinüber. »Sieh dir die an, Junge«, sagte er. »Die Pinien sind bestimmt vierhundert Jahre alt. Sie graben ihre Wurzeln bis rüber zum Haus. Unten im Keller stecken sie ihre Nasen hinein, brechen durch die Wände. Was immer sie tun, sie tun es langsam. Sie wachsen langsam, sie breiten ihre Äste langsam aus. Sie beherrschen die Kunst, unauffällig zu sein. Sie sind ein Teil der Landschaft.« Er hob belehrend den Finger. »Doch die jungen Bäume, die können jederzeit brechen. Dumm nur, dass sie es nicht wissen. Ein Sturm genügt, und sie knicken ein.«
    Danny nickte nur. »Ich brauche wirklich Ihre Hilfe.«
    Dann erzählte er von Sunny und dem Telefonat und seiner Mutter und all den Dingen, die passiert waren. Von dem Baby und der Lüge, die so tief in Sunny lebte.
    Tyler Blake hörte ihm geduldig zu, ohne ihn zu unterbrechen.
    Während Danny redete, erreichten sie die Treppe zur Veranda, stiegen die wenigen Stufen empor, betraten das Haus durch die Tür mit dem Fliegengitter. Es roch nach Zigarettenqualm. Sie gingen durch Räume, die fast leer waren, sah man von den wenigen Möbeln und den Bildern ab, die die Wände bedeckten und auf dem Boden standen, an Staffeleien gelehnt.
    »Ich male, das wissen die wenigsten. Na ja, geht auch niemanden was an.« Er trat auf ein Bild zu, das eine karge Landschaft zeigte: Schienenstränge, verzweigte und endlose Wegstrecken, dem fernen Horizont zugeneigt, gesäumt von Häusern, die wie gestotterte Worte einsam blieben. »Ich kannte mal jemanden, der malte immer nur das gleiche Bild. Immer seine Gitarre. Als ich ihn fragte, warum er das mache, sagte er, dass er die absolute Perfektion zu erreichen versuchte.« Blake lachte kratzig auf. »Was für ein Idiot. Seine Zeit so zu vergeuden.«
    Sie durchquerten einen Korridor und gelangten in die Küche, die nicht groß war, aber auch nicht klein.
    »Die Küche ist der beste Ort im ganzen Haus«, stellte Blake fest. »Sie ist das Herz, weißt du?« Und dann bekannte er: »Du hast wirklich ein Problem, Junge.«
    »Können Sie mir helfen?«
    Blake wirkte erstaunt, »Vielleicht sollte ich zuerst mal einen Kaffee machen, was?!« Er ging zur Anrichte, füllte Wasser in einen Kessel und stellte ihn auf den Herd. »Ich bin eine Sherazade, ja, so ist das wohl. Aber ich mache das nur noch selten. Die Musik spielt heute von ganz allein, da brauche ich diesen magischen Kram nicht mehr.« Er nahm Filtertüten und Kaffeepulver, roch daran, häuf te einige Löffel auf und füllte den Filter. »Ist besser, der Kaffee, wenn man ihn so macht. Hey, ich mahle die Bohnen sogar selbst.« Er nahm eine Kaffeemühle und drehte sie eine Zeit lang, öffnete die kleine Schublade, hielt Danny das Pulver hin. »Riech mal dran. So was findet man heute kaum mehr.«
    »Ja«, stimmte Danny ihm zu, »Mit dem Leben«, sagte Blake, »ist es genauso, Alles ist neu, aber nichts ist mehr real.« Er lachte auf, und es klang wehmütig und brüchig. »Ist wie mit unseren Geschichten. Sie sind nur Lügen und doch so wahr, dass man sich daran das Fleisch

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