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Lyra: Roman

Lyra: Roman

Titel: Lyra: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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Darauf sah man eine Gruppe von jungen Frauen, die auf einer Treppe abgelichtet worden waren.
    »Mutter wurde ohnmächtig, als sie das Bild sah.« Margery ließ die Katze aus dem Sack. »Eine dieser Frauen war die geheimnisvolle Fremde, die ihr im Sumpf begegnet war.«
    Sie wusste, dass sie der Frau begegnet war. Es gab keinen Zweifel.
    »Aber das war unmöglich.« Henri seufzte.
    »Die junge Frau auf dem Bild war im Sommer 1916 verschwunden«, sagte Margery. »Bei einem Ausflug in die Bayous. Sie war schwanger gewesen, und dann war sie plötzlich wie vom Erdboden verschluckt.«
    Danny war mehr als nur ein wenig mulmig bei der Vorstellung, was das für seine werdende Familie bedeuten konnte.
    »Glauben Sie, dass Ihre Mutter das wirklich erlebt hat?«, fragte Sunny. Auch sie klang nicht gerade glücklich.
    »Es ist eine Geistergeschichte, wie sie hier oft erzählt werden«, antwortete ihr Henri bedächtig, und seine Augen wurden schmal.
    »Aber unsere Mutter hat die Geschichte immer so erzählt. So und niemals anders«, sagte Margery, »und bis ins hohe Alter hat sie an den Einzelheiten festgehalten.«
    Die Zikaden stimmten eine unruhige Melodie an.
    Margery lehnte sich vor und flüsterte heiser: »Es war zwei Tage vor L'Orient, als meine Mutter die schöne Frau im Bayou traf.«
    Sunny stockte der Atem.
    Und Danny fragte sich, worauf sie sich da bloß eingelassen hatten.
    »Ich glaube«, stellte Sunny unvermittelt fest, »ich bin jetzt müde.«
    »Ja«, pflichtete ihr Danny nun vielleicht ein bisschen zu rasch bei, »morgen haben wir einen anstrengenden Tag vor Henri richtete sich in seinem Stuhl auf und straffte die Schultern. »Das sind doch nur alte Gcschichtcn«, sagte er. »Sie sollten sich nichts draus machen. Wir lieben es nun einmal, den Touristen ein wenig Angst einzujagen. Ist gut fürs Geschäft.«
    »Du sollst die Geschichten nicht lächerlich machen«, sagte Margery energisch, stand abrupt auf und ging wütend in die Küche.
    Betretene Stille breitete sich aus.
    »Lassen Sie sich nicht beirren«, sagte Henri leise. »Ich bringe Sie zu Laveau, und dann sehen wir weiter. Ist nur T ne normale Tour, die ein wenig länger dauert als die anderen.«
    In der Küche klapperte Margery laut mit dem Geschirr.
    »Ich bin wirklich müde«, meinte Sunny. Sie sagte es so laut, dass es auch Margery in der Küche hören konnte.
    Henri nickte. »Tut mir leid, aber meine Schwester...«
    »Kein Problem«, log Sunny.
    Dann verabschiedete sie sich, so schnell es ging.
    Und Danny folgte ihr.
    Kurze Zeit später lagen sie im Bett.
    Das Fenster war weit geöffnet, kühle Luft strich ihnen über die Haut. Danny wusste, dass Sunny schlecht schlafen würde.
    Er legte seine Hand auf ihren Bauch, ertastete den Nabel. Dann küsste er die Stelle.
    »Oh, Mann, diese Bayou-Gcschichten können einen ccht das Gruseln lehren«, fluchte sie, wenn auch nur leise, damit niemand sonst sie hören konnte. »Diese Sache mit L'Orient, Danny. Das klingt schon richtig übel.«
    Er winkte ab. »Ach was.«
    »Nein, wirklich, das kann einem doch Angst machen.«
    Danny ließ sie reden.
    Es tat Sunny gut zu schimpfen. Und ihm tat es gut, ihre Stimme zu hören.
    »Und les viperes. Meine Güte!«
    »Es sind nur Geschichten«, tröstete er sie.
    Sie drehte sich zu ihm hin. Die Rundungen ihres Körpers schimmerten im Mondlicht. »Nur Geschichten? Hey, Margery da unten glaubt daran.«
    »Ihr Bruder nicht«, meinte Danny, aber er wusste nicht, was genau er von der ganzen Sache halten sollte. Schon einmal war er zum Spielball seltsamer Mächte geworden, und er hatte nicht vor, den gleichen Fehler ein zweites Mal zu begehen.
    »War es unhöflich, so schnell zu gehen?«
    Er küsste sie auf die Nasenspitze. »Oh, Sunny, mach dir keine Gedanken. Sie haben gemerkt, dass du erschöpft bist.«
    »Es war unhöflich.«
    »Nein, war es nicht.«
    »Was war es dann?«
    »Es war okay, hörst du?!«
    Sie beugte sich zu ihm, flüsterte: »Scheiße, ich bin nicht erschöpft, überhaupt nicht, aber ich hatte einfach keine Lust mehr auf diese düsteren Geschichten. Fehlten nur noch Nebel und ein Wolf, der durch die Sümpfe streift.«
    Er musste lachen.
    »Der Hund der Baskervilles«, kicherte sie.
    »Heathcliff«, sagte er. »Der heulte im Moor.« »Auch gut.«
    Beide mussten sie lachen. Sunny hielt ihre Hand auf seinen Mund, damit es nicht so laut war.
    Zu lachen tat jedenfalls gut. Denn im Grunde genommen war ihnen beiden klar, dass sie sich fürchteten. Beide wussten sie, dass es

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