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Lyra: Roman

Lyra: Roman

Titel: Lyra: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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gehört«, gab Danny zu.
    »Trotzdem sind Sie den ganzen Weg hierhergekommen. Um uns zu sehen? Meine Schwester und mich?« »Ja.«
    Zum ersten Mal breitete sich ein Lächeln auf ihrem Gesicht aus, das kein falsches Lied mit einer verborgenen Absicht sein mochte. Ein Lächeln wie eine Melodie, die nur darauf gewartet zu haben schien, endlich erklingen zu dürfen.
    »Na dann«, sagte Madame Fontaine mit einem langen Seufzer der Erleichterung in ihrem Lied, »lade ich Sie hiermit ein, mich gleich in den Bayou Cheniere zu begleiten. Seien Sie meine Gäste.«
    Und so war es beschlossene Sache.
    Sie verabschiedeten sich von Jean Laveau, der derweil die Kisten, die für Madame bestimmt waren, im Boot verstaut und von dem Gespräch nichts mitbekommen hatte, kletterten ins Boot, nahmen Platz.
    Und fuhren los.
    Danny musste an Pete Seeger denken. Turn,turn, turn.
    Sunny und er saßen wieder hinten im Boot. »Gefallen Ihnen die Sümpfe?«, fragte Madame.
    »Sie sind unheimlich«, antwortete Sunny. »Aber schön. Faszinierend.«
    »Wenn Sie erst einmal eine Weile hier sind«, sagte Madame, »dann wollen Sie gar nicht mehr woanders hin.« Ihr Blick wanderte musternd an Sunnys Körper auf und ab. Was sie sah, schien ihr zu gefallen.
    Sunny rückte ein Stück näher an ihren Mann heran, weil es ihr unheimlich war, wie die Frau sie ansah.
    Über dem Bayou zogen Wolken auf, dünne Streifen am azurblauen Himmel, begleitet von einem Wind, der das leichte Salz des Golfstroms mit sich trug. Die mächtigen Zedern, die zu beiden Seiten des Flusses aus dem Boden schössen, berührten sich hoch oben und bildeten eine Arkade aus Ästen und Blattwerk, die alles, was auf dem Wasser geschah, vor den Augen des Firmaments zu verbergen wusste.
    Waren sie zunächst einem breiten Strom gefolgt, lenk te Madame Fontaine ihr Boot bald durch kleine Nebenarme, und oft mussten sie die Köpfe einziehen, weil die Äste nach ihnen griffen.
    Schon nach wenigen Minuten hatte Danny die Orientierung verloren.
    Andauernd wechselte sie die Richtung. Sie wendete flink, bog ins nächste Gewässer ein, raste weiter ihrem Ziel entgegen.
    »Wir kamen vor langer Zeit hierher, müssen Sie wissen.«
    Sie kramte nach ihrem Handy, einem knallgelben Nokia der, wie es aussah, allerersten Generation, fand es, tippte wild auf die Tasten ein, schüttelte es, tippte erneut.
    »Kein Netz, wie immer«, fluchte sie.
    Dann ließ sie für einen Augenblick das Lenkrad los, faltete die Hände um das Telefon, murmelte etwas in die gefalteten Hände hinein. Sie schüttelte es noch einmal, summte eine kleine Melodie dazu. Dann tippte sie erneut auf den Tasten herum. »Na also«, stellte sie siegessicher fest. »Geht doch.«
    »Was haben Sie gemacht?«, wollte Sunny neugierig wissen.
    Madame Fontaine antwortete: »Magie.«
    »Magie?«
    »Wir leben im Sumpf, Schätzchen, wir können so was.«
    Am anderen Ende der Leitung meldete sich jemand, und Madame sagte etwas auf Französisch. Danny glaubte herauszuhören, dass sie mit jemandem über die Gäste sprach. Dass sie hier bei ihr im Boot seien. Dann murmelte sie noch etwas, was er aber nicht verstand.
    Sie legte auf.
    »Okay, okay«, murmelte sie. »Gut, gut.«
    Sie bremste ab, als sie das Boot in eine Kurve lenkte.
    Ein Alligator schwamm leise neben dem Boot her. Ganz plötzlich war er aufgetaucht, wie es der Alligatoren Art ist. Man hätte ihn für ein Stück treibendes Holz halten können, so regungslos lag er dort im brackigen Wasser.
    Madame Fontaine ließ eine Hand ins Wasser gleiten und streichelte ihm die lange Schnauze.
    Das große Tier schlug schnell mit dem Schwanz und tauchte ab.
    »Sie tun mir nichts«, sagte sie. »Keine Ahnung, warum, aber sie haben mir noch nie etwas getan.«
    »Wie kommt das?«
    »Ich habe Klasse, Schätzchen.« Sie lachte, und es klang wie das Lachen von jemandem, der viel zu selten lachte.
    »Warum leben Sie hier draußen?«, fragte Sunny. »So weit weg von allem.«
    »Oh, wir leben, wie gesagt, schon so lange hier in den Sümpfen.« Sie wich flink einem im Schatten treibenden Baumstumpf aus. »Wir kamen hierher, noch bevor Margaret Mitchell ihren berühmten Roman schrieb.« Sie brachte das Boot wieder auf Kurs. »Bevor Faulkner berühmt wurde. Mein Vater, Gerard Fontaine, kam mittellos nach Amerika. Er war ein Glücksspieler aus Marseille und gewann eines Tages ein Vermögen beim Poker. Von dem Geld, das er nun besaß, kaufte er sich einen Schaufelraddampfer, weil dies sein Traum gewesen war. Die

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