Macabros 014: Knochensaat
wildes
Fauchen…
Chitra, die Tigerin!
Licht flammte auf und der Widerschein spiegelte sich auf dem
Balkon.
Björn riß die Maschendrahttür auf, stürzte
nach draußen und stürmte in Mahays Zimmer.
Ein seltsames Bild bot sich seinen Augen.
Ein Indio lag mit schreckgeweiteten Augen auf dem Boden und wagte
nicht, sich zu rühren. Über ihm stand die Tigerin, und ein
gefährliches Knurren kam aus ihrer Kehle.
Rani Mahay saß aufrecht wie ein bronzefarbener Hüne im
Bett, und sein kräftiger Oberkörper schimmerte matt im
Licht der Deckenlampe.
Der Inder hatte es nicht eilig aus den Federn zu kommen.
Langsam hob er die Beine nach außen. Er war nur mit
beigefarbenen Shorts bekleidet.
»Ziemlich unruhig, diese Nacht«, beschwerte er sich und
reckte sich. »Kaum hat man die Augen geschlossen, kommt einer
durch die Balkontür, fällt über den Teppich und
erschreckt meinen Tiger. Chitra ist sehr sensibel. Das mag sie
nicht.«
Der Koloß aus Bhutan kam ums Bett herum. Björn hielt
sich ebenfalls in respektabler Entfernung Chitras, um die Raubkatze
nicht zu irritieren. Er wußte, daß das Tier in Mahays
Nähe friedlich war, und es sah auch ganz so aus, als könne
es sich die Personen merken, die mit Mahay zu tun hatten. Dennoch
ließ Björn Vorsicht walten.
»Chitra, komm«, sagte Mahay nur.
Die Großkatze bleckte die Zähne. Ihr Fauchen klang
gefährlich. Sie gehorchte und nahm die rechte Tatze vom
Brustkasten des vor Schreck gelähmten Indios.
Hellmark musterte den Mann. Er war großgewachsen, schlank,
und sein blauschwarzes Haar glänzte.
»Wer sind Sie?« fragte Hellmark ruhig.
Der Eingeborene richtete sich auf.
In seinen Augen flackerte ein wildes Feuer. Er warf den Kopf
herum, starrte auf den Inder und dann wieder auf den blonden Mann,
der ihm den Rückzug versperrte. Hellmark füllte mit seinem
ganzen Körper die Balkontür aus.
Der Indio kam auf die Beine. Niemand griff ihn an. Der Mann war
unbewaffnet. Was suchte er dann hier, wenn er ihnen nicht ans Leben
wollte?
Er wagte noch immer nicht, sich zu bewegen. Die Nähe der
Katze lahmte ihn.
»Ich wollte zu Ihnen«, kam es rauh über seine
Lippen. Er sah Hellmark an.
»Aber Sie haben die falsche Tür erwischt«, nickte
Björn. »Warum nehmen Sie den umständlichen Weg
über den Balkon? Warum nicht durch die Tür?«
»Man hätte mich sehen können.«
»Und das wollten Sie nicht?«
»Nein.«
»Wer es nicht wagt, durch die Tür zu kommen, der
führt nichts Gutes im Schild«, bemerkte Hellmark.
»Ich wollte Sie warnen.«
Mit dieser Antwort des Indios hatte er am wenigsten gerechnet.
Björn wechselte einen schnellen und erstaunten Blick mit dem
Freund, neben dem stumm und großartig die Raubkatze stand, die
wie ausgestopft wirkte.
»Dann wollten Sie mir etwas Gutes tun?«
»Ja! – Fliehen Sie, verlassen Sie Peto! Gleich morgen
früh. Gehen Sie nicht in den Dschungel!«
»Weshalb nicht?«
»Dort wartet der Tod auf Sie.«
»Was wissen Sie?«
»Nichts! Nicht viel jedenfalls«, verbesserte er sich
selbst, als er Hellmarks Blick sah. »Sie wollen die anderen
suchen, nicht wahr?«
»Ja.«
»Sie sind Verlorene. Jeder, der den Tempel sucht, ist
verloren.«
Die Art und Weise, wie der Indio mit ihnen sprach, ließ ihre
Skepsis immer mehr schwinden, daß er vielleicht doch aus einem
anderen Grund hierhergekommen sein könnte.
»Wie verloren?« fragte Hellmark. Er kam einen Schritt
auf den Indio zu. Unauffällig gab er dabei seinem Freund Rani
ein Zeichen, daß er sich weiter zurückziehen und die Katze
entfernen sollte. Der Eingeborene wagte noch immer nicht, sich zu
bewegen.
»Noch ehe ihr den Tempel erreichen werdet, seid ihr schon
tot. Und selbst wenn es einem gelingt, dort einzudringen, wird er das
Grauen kennenlernen. Der Gedanke, an das Gold zu kommen, ist
absurd.«
Es zeigte sich, daß die Indios mehr wußten, als man
allgemein annahm. Sie bewahrten altes Gedankengut und gaben es von
Generation zu Generation weiter, ohne daß Außenstehende
in der Regel davon erfuhren.
Der Indio packte aus, und seine Worte klangen überzeugend. Er
behauptete als Träger in der Gruppe von Amag gewesen zu sein,
die den General und Fred Delware in den Dschungel begleitete.
»Wir hätten sie warnen sollen«, fuhr er fort.
»Aber Amag war hinterhältig. Er hat sie im Stich gelassen,
als er merkte, daß sie in der Tat den Weg kannten, der zum
Tempel führt. Er hat sie ihrem Schicksal
überlassen.«
Gewissensbisse, die den Indio hierherführten? War das
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