Macabros 017: Dwylup - Stadt der Monster
Ketter verkehrte im Haus des
wohlhabenden Fabrikanten. Einmal im Monat traf eine illustre
Gesellschaft sich dort beim Bridge.
»Ich habe ein Problem«, steuerte Butscher gleich sein
Ziel an. »Unsere Kinder sind weggelaufen. Ich brauche deinen
Rat…«
Ketter wollte zunächst Genaueres wissen. So kam die
Vorgeschichte zur Sprache.
Ketter versprach vorbeizukommen. Dann legte er auf.
»Komische Geschichte«, sagte er, seinen blonden Gast
anblickend, der sich das nächste Album mit den Neuzugängen
heranzog, in der Hoffnung, vielleicht wenigstens einen Burschen hier
verewigt zu sehen, wie Carminia sie beschrieben hatte.
Ketter erzählte den Vorfall mit den beiden Kindern.
Hellmark merkte, wie es eiskalt seinen Rücken hinablief.
»Sie sind da«, murmelte er. »So etwas können
Kinder nicht erfinden. Jedes Wort der Zwillinge – davon bin ich
überzeugt – entspricht der Wahrheit!«
*
Sie wollten sofort aufbrechen. Ihr ursprünglicher Plan, erst
die Alben durchzusehen und danach weitere Maßnahmen zu
ergreifen, wurde über den Haufen geworfen.
Instinktiv fühlte Björn, daß dieser Spur
nachzugehen sich lohnte.
Durch die Begegnung mit Ketter war es ihm ermöglicht worden,
einen Blick in Enio Merkels Haus zu werfen. An Ort und Stelle hatte
er sich ein Bild von der Umgebung machen können, aber das hatte
zu nichts geführt außer zu der Gewißheit, daß
Merkel tatsächlich einen Spiegel besonderer Art besessen hatte,
von dem nur noch der Rahmen existierte. Die Glasscherben hatte man
inzwischen beseitigt. Der Rahmen war identisch mit dem, der Hellmarks
Spiegel umgab!
Björn und der Kommissar waren gerade erst an der Tür,
als das Telefon abermals anschlug.
Ketter hob ab und meldete sich mit brummiger Stimme.
Seine Miene hellte sich auf. Er zog seinen Notizblock heran.
»Ihr seid euch sicher?« fragte er, nachdem er eine halbe
Minute lang aufmerksam zugehört hatte. »Danke! Das
hört sich interessant an. Ich ruf zurück, sobald ich Zeit
habe. Das gibt ’nen Amokdienst rund um die Uhr. Aber vielleicht
lohnt er…«
Ketter hängte ein. »Ich glaube, wir sind den Kerlen auf
der Spur«, wandte sich der untersetzte Mann an Björn. Er
wirkte erleichtert. »Im Labor haben sie Fingerabdrücke
gefunden. Die weisen auf die Pintura-Brüder hin. Die
Arbeitsmethode paßt auch zu ihnen.« Mit schnellem Schritt
war er um den Schreibtisch herum und blätterte die Seiten in dem
Buch um, das Hellmark sich gerade vorgenommen hatte. Ketter deutete
auf die Konterfeis zweier Galgenvögel, deren stechende dunkle
Augen auch auf den Fotos zur Wirkung kamen. »Lino und Emilio
Pintura. Spezialisten für Profieinbrüche. Bei Ihnen
waren’s Profis. Außerdem hat man Fasern des Stoffes
gefunden, mit dem ihr Spiegel eingeschlagen war. Ein roter, schwerer
Brokatvorhang sei es gewesen, haben Sie das nicht selbst
gesagt?«
»Ja.«
»Dann waren sie’s.«
»Verbrecher wie Luigi Maronne. Jemand muß sich in der
Unterwelt sehr gut auskennen. Das Mosaik nimmt Form an. Aber die
Farben sind noch zu verwaschen, als daß man genau erkennen
könnte, worum es geht und wie die Dinge zusammengehören.
Denken wir an Maronne. War er es wirklich – oder war es nur eine
Kopie von ihm? Denken wir an die beiden Pinturas. Da stellt sich uns
die gleiche Frage. Wurden ihre Körper nur als Mittel zum Zweck
benutzt? Die Zwillinge kennen die Lösung. Sie haben behauptet,
daß ihr Kindermädchen nicht mehr das Kindermädchen
sei, sondern ein Monster. Wenn Eltern das hören, reagieren sie
mit Ärger oder Schelte, es hagelt Verbote und Proteste, und man
schreibt das Gerede einer besonders wilden Phantasie zu. Aber die
Eltern Karlis und Fannys sind im Irrtum. Die Butschers haben eine,
hochexplosive Bombe im Haus, die jeden Moment krepieren kann. Kommen
Sie, Kommissar, jede Sekunde kann über Leben und Tod
entscheiden…«
*
Im Haus der Butschers herrschte gedrückte Stimmung.
Martha Butscher hatte verweinte Augen, Hans Butscher lief unruhig
hin und her. Immer wieder verließ er das Zimmer, ging hinaus in
den Park und starrte in die Dunkelheit, als könne er die
verschwundenen Zwillinge herbeisehen.
Susan-Monster trat unbemerkt hinter Martha Butscher.
In den Augen des Kindermädchens glühte ein
gefährliches Licht. Das Monster in der Menschengestalt
fühlte sich wohl. Es empfing die Ausstrahlungen, es weidete sich
an den Qualen, die diese Frau beherrschten. Das Monster sah nur noch
aus wie Susan. Es empfand keine menschlichen Gefühle mehr.
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