Macabros 019: Im Schlund der Höllenschlange
mit Vollmond und
Sternenschein.
»Fast romantisch«, bemerkte Björn.
Er legte den Arm um ihre Schultern, sie lehnte sich an ihn,
fühlte sich in seiner Gegenwart sicher und geborgen und war
einen Moment lang glücklich.
»Du sprichst mit mir eben sehr wenig über die Dinge, die
dich berühren«, flüsterte sie. »Das bedrückt
mich. Gibt es etwas Besonderes?«
»Nein, es ist alles so wie immer. Ich möchte dich nicht
noch mehr belasten. Ich habe dich mitgenommen, in der Hoffnung, du
könntest hier ein paar Tage Entspannung finden, während ich
mit Richard Lowestone diskutiere. Aber es ist wieder mal alles anders
gekommen.«
»Dafür kannst du nichts. Fällt es dir so schwer,
dich mir anzuvertrauen?«
»Nein.«
»Warum tust du es dann nicht?«
»Ich denke nach.«
»Vielleicht kann ich dir dabei helfen.«
»Ja. Wie würdest du darüber denken, Schoko: du
sprichst mit einer Person, welche die gleichen Probleme hat wie du.
Aber ihr beide seid euch nicht ganz grün. Der oder die andere
mißtraut dir. Dafür wird es möglicherweise auch einen
Grund geben. Durch irgendeinen Zwischenfall bist du gezwungen,
schnell wegzulaufen. Jemand scheint in Gefahr. Ein paar Meter
entfernt. Du bist schneller. Der oder die andere könnte
nachkommen. Aber das geschieht nicht. Du stellst fest: du hast dich
getäuscht und kehrst an die Stelle zurück, an der du deinen
Gesprächspartner zurückgelassen hast. Aber er ist nicht
mehr da.«
Die Brasilianerin wiegte den Kopf. »So ganz ohne
Grund?«
»Ich würde sagen: ja. Dabei standen noch alle Probleme
offen, und ein weiterführendes, offenes Gespräch wäre
von Nutzen gewesen. Für beide Teile.«
»Dann fände ich es merkwürdig, wenn der andere so
gehandelt hätte. Zumindest hätte es ihn doch interessieren
müssen, was das für eine Gefahr gewesen war, wegen der der
andere ihn stehenließ.«
Björn Hellmark zuckte kaum merklich zusammen.
»Schoko!« entfuhr es ihm. »Das ist es! Daran hatte ich
nicht gedacht! Die ganze Zeit ist es mir so, als hätte ich etwas
übersehen. Man muß Brodnicks Verhalten losgelöst vom
Geschehen betrachten! Die Stimme des Mädchens hat mich
hinausgelockt. Als ich zurückkehrte, vernahm ich den sich
entfernenden Wagen. Brodnick ist aber offensichtlich gar nicht im
Office angekommen. Ich bin einer Täuschung zum Opfer gefallen
– ich wurde absichtlich getäuscht!« Erregung packte
ihn. »Ich muß noch mal hin. Er muß noch dort
sein«, murmelte er.
»Wohin mußt du?«
»Nach Deadly Bluff.«
»Jetzt?«
»Ja. Sofort.«
Er löste ihren Arm von seinen Schultern und sprang vom
Gatter.
»Aber Björn! Mitten in der Nacht!«
»Das ist oft die beste Zeit. Da zeigen sie sich, sie kommen
aus der Finsternis und sie lieben die Finsternis. Wenn Brodnick etwas
zugestoßen ist, muß ich dort anfangen zu suchen, wo ich
ihn zurückließ: im Keller des Michigan Hotel.«
*
Am Fenster in der ersten Etage des Farmerhauses entstand eine
Bewegung.
Benjamin Kennan hatte die ganze Zeit über dort gestanden und
Hellmark beobachtet.
Jetzt, als der Deutsche sich auf den im Hof stehenden Pontiac
zubewegte, atmete Kennan scharf die Luft durch die Nase und murmelte:
»Also doch! Jetzt ist es soweit.« Er ballte seine
Hände zu Fäusten.
»Ich muß ihm nach.«
»Dann komme ich mit, Vater.«
Als er die Stimme aus dem Dunkel vernahm, wirbelte er herum.
»Alan!« entfuhr es ihm. Sein Sohn warf die Zudecke
zurück und Benjamin Kennan sah, daß er fix und fertig
angekleidet war. »Alan!« kam es noch mal tonlos über
seine Lippen. »Wieso bist du nicht ausgezogen?«
»Ich möchte dich begleiten«, antwortete der
muskulöse junge Mann mit den dunklen Augen, die von den gleichen
kräftigen, buschigen Brauen überwölbt waren, wie
Benjamin Kennan sie hatte.
»Das ist unmöglich!«
»Wer sagt das, Vater?«
»Ich, Alan.« Er ging auf ihn zu. »Du hast es also
auch gewußt?«
»Ja. Wir können diesen Mann nicht allein gehen lassen.
Er wird ihr begegnen. Er ist ihr nicht gewachsen.«
»Er wird nicht allein gehen. Ich werde ihm
nachfolgen.«
»Ich weiß, und ich werde dabei sein.«
Die Stimme des jungen Kennan klang fest und sicher.
In den Augen des alten Kennan blitzte es kurz auf. Er kannte
seinen Sohn. Der konnte stur sein. Da war er im Grunde genommen
seinem Vater gleich. Benjamin Kennan wußte, daß er mit
guten Worten hier nichts ausrichtete.
Aus den Augenwinkeln heraus nahm er die Bewegung unten im Hof
wahr. Dort flammten die Autoscheinwerfer auf. Björn
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