Macabros 021: Abraxas Fluch des Magiers
Abraxas’.
»Wie eine schalldämmende Glocke ist dieser Raum
abgeschirmt, und was hier geschieht, geht nur uns etwas an. Nur uns
drei!«
Rutherland konnte nicht den Blick von seinem Spiegelbild wenden.
Wie eine furchtbare Karikatur schaute er sich selbst entgegen. Sein
Gesicht war verzerrt, die Narbe, die das Rasiermesser hinterlassen
hatte, wurde breiter, platzte auf und verunstaltete sein ganzes
Aussehen.
Nur eine Illusion, von Abraxas herbeigeführt, nicht
Wirklichkeit, redete er sich ein, um die Panikstimmung zu vertreiben,
die ihn zu überschwemmen drohte.
Er erkannte sich nicht wieder. Ein furchtbares, gesichtloses
Monstrum starrte ihn an, sein Spiegelbild!
Herabgezogen und aufgeworfen die Lippen, die Haut abgeschält.
Wie Spinngewebe liefen die Adern und Blutgefäße durch das
rohe Fleisch.
Eine schreckliche Maske, deren Anblick Cindy Ballanger aufs
höchste entsetzte. Sie riß die Hand an den Mund,
schluchzte und wollte schreien, aber ihre Stimmbänder versagten
ihr in diesen furchtbaren Sekunden den Dienst.
Die Augen! Diese schrecklichen Augen, deren Blicken er sich nicht
entziehen konnte, hämmerte es in Pit Rutherlands
aufgewühltem Bewußtsein.
Sie wurden sechseckig, wie Kristalle, und begannen von innen
heraus zu glühen.
Hellgelb, dann gleißend. Dann brachen die
scharfgebündelten Strahlen aus dem Spiegelbild und bohrten sich
genau in die Pupillen des Entführers.
Eine einzige, gleißende Lichtfontäne hüllte
Rutherland ein. Er warf die Arme in die Höhe. Ungeheure
Temperaturen wurden im Bruchteil einer Zehntelsekunde frei.
Es zischte und dampfte.
Pit Rutherland wurde selbst zur Glut. Sein Körper schrumpfte
zusammen. Das Licht, das aus dem Spiegel brach, verlöschte. Ein
heller, durchdringender Knall, und der Spiegel an der Wand
zersplitterte, als würde eine Bombe dahinter explodieren.
Der Spiegel war weg – und das Spiegelbild mit ihm
verschwunden.
Verschwunden war auch Pit Rutherland. Wirklich verschwunden?
Wenn man genau hinsah, konnte man ein etwa fünfzig Zentimeter
langes, ausgetrocknetes Etwas auf dem Teppich liegen sehen. Grau und
unansehnlich und kaum mehr menschliche Formen zeigend…
Und doch war es das, was von Pit Rutherland übrig geblieben
war.
*
Cindy Ballanger glaubte, den Verstand zu verlieren, als der
unheimliche Eindringling ihr den Blick zuwandte.
»Nun bist du an der Reihe!«
»Ich… aber ich habe nichts getan«, brach es
gurgelnd aus ihrer Kehle hervor. Die Schöne im seegrünen
Nighty stand in die Ecke gepreßt, hatte die Augen weit
aufgerissen und sah aus, als würde sie jeden Augenblick dem
Wahnsinn verfallen. »Er kam hierher… ich habe nichts zu tun
mit dem, was geschehen ist und…«
»Deine Schuld ist es, daß du ihn kennst«,
unterbrach Abraxas sie eiskalt.
Da lösten sich auch schon die Schatten.
Alles im Raum verlor seinen Schatten, der Tisch, die Lampe, der
Schrank. Alles wurde schattenlos.
Wie selbständige Lebewesen glitten die bizarren dunklen
Formen auf sie zu, krochen über ihren Kopf, ihre Schultern und
dort, wo die Schatten sie berührten, wo sie Besitz von ihnen
ergriffen, wurde ihr Fleisch kalt, als ob Eiswasser durch ihre Adern
flösse.
Dann bewegte nicht mehr sie sich, sondern die Schatten, die zu
einem einzigen, großen zusammenschmolzen, und eine eigene Form
bildeten.
Cindy Ballanger konnte nicht mehr schreien; nichts mehr an ihrem
Körper gehorchte ihrem Willen.
Sie bekam alles mit. Ihr Ich war nicht erloschen, und doch war sie
nicht mehr sie selbst.
Wie alles um sie herum, der Raum und die
Einrichtungsgegenstände wirkten zusammengesetzt wie ein
Puzzle-Spiel. Alles hatte Risse, Spalten und war perspektivisch
verzogen. Groß und klein, oben und unten schien es nicht mehr
für Cindy zu geben.
Die Luft erzitterte leise, wie bei einer Erderschütterung
oder einem fernen, unüberhörbaren Donnerschlag.
Da merkte sie, daß sie den Boden unter den Füßen
verlor, daß sie ihre Arme ausstreckte. Aber das waren keine
Arme mehr. Sie hatte plötzlich Flügel.
Mit traumhafter Leichtigkeit erhob sie sich in die Luft und
schwebte.
Ich bin ein Vogel, ich kann fliegen! dachte Cindy. Wie von einem
Sog wurde sie gepackt.
Die Fensteröffnung war viel zu klein! Sie würde sich
dort die Flügel zerschmettern!
Panik erfüllte sie.
Dann streifte plötzlich kühle Luft um das Federkleid,
das sie trug. Die Fensteröffnung wurde plötzlich
riesengroß. Vor ihr war der Mond. Eine helle, runde Scheibe am
Himmel. Sie flog darauf zu,
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