Macabros 022: Phantom aus dem Unsichtbaren
Mädchen namens Saionan, das unter
mysteriösen Umständen von der Tahiti-Insel Moorea
verschwunden und auf offener Bühne eines Theaters in London
wiederaufgetaucht war.
Sie war dem Ruf des Magiers gefolgt, und dieser Ruf hatte sie ins
Verderben und in das Reich der Toten geführt. Saionan war wie
viele andere vor ihr durch die magische Kraft Abraxas’ zu einem
Schatten geworden und hatte sich aufgelöst.
Auch der Magier selbst war wenig später auf diese Weise
gestorben und hatte Angst vor dem Ungewissen gehabt, das ihn in der
Stadt der Toten erwartete.
»Orlok ist unberechenbar«, fuhr Al Nafuur unbeirrt fort.
»Wie ein Phantom kann er an jedem beliebigen Punkt der
sichtbaren Erde auftauchen und irgendeine Gemeinheit ausbrüten.
Sobald er merkt, daß du etwas gegen ihn im Schilde führst,
wird er dich attackieren. Auch davor will ich dich warnen. Ich bin
außerstande, einen Blick in Orloks Reich zu werfen, ich
weiß nicht, wie er dir begegnen wird. Sei mißtrauisch
und…« Plötzlich mischte sich eine gewisse Hektik in
die telepathische Stimme. Al Nafuur schien in dieser Sekunde etwas zu
registrieren.
Björn nahm fremdes Erstaunen und Überraschung wahr.
Für den Bruchteil eines Augenblicks war ihm, als wolle Al Nafuur
ihm etwas zurufen. Eine Warnung?
Er kam nicht mehr dazu. Der Kontakt zu dem Geistwesen war wie
abgeschnitten.
Al Nafuur konnte sich nicht mehr bemerkbar machen.
Intensiv lauschte Björn in sich, während er sich
gleichzeitig auf seine Umgebung konzentrierte.
Die holprige Straße führte über eine steinerne,
uralte Brücke. Darunter lag die Schlucht, ein ausgetrocknetes
Flußbett. Dort unten irgendwo würde er sich morgen auf die
Suche nach dem Eingang eines mysteriösen Hünengrabes
machen.
Rechts auf der Straßenseite, etwa hundert Meter vor ihm,
lief eine schwankende Gestalt, die am Ende ihrer Kraft schien: Ein
junges Mädchen, langes, schwarzes Haar, elegantes Kostüm,
auf Taille gearbeitet.
Unbarmherzig rissen die beiden Scheinwerfer die Gestalt aus dem
Dunkel.
Das Mädchen warf den Kopf herum. Björn blendete sofort
ab, als er ihr erschrecktes, kalkweißes Gesicht sah.
Carmen de Silva erschrak nicht wegen des Autos, das auf sie zukam.
Da war etwas anderes.
Auch Björn sah es.
Mit dem schmalbrüstigen Haus jenseits der steinernen
Brücke geschah etwas Unheimliches, Unfaßbares…
Es bewegte sich und schwebte sekundenlang über dem Boden.
Hinter den erleuchteten Fenstern registrierte man erschreckt
aufspringende Menschen.
Sie begriffen nicht, was mit ihnen geschah, und sie hatten auch
keine Gelegenheit mehr, sich darüber zu informieren.
Alles ging blitzschnell.
Plötzlich war das Haus verschwunden, als hätte es sich
in Luft aufgelöst.
Zurück blieb die Kellergrube, eine Lücke, die zeigte,
daß dort vor wenigen Augenblicken tatsächlich noch ein
Haus gestanden hatte!
*
Die Spanierin lief wie von Sinnen auf den orangefarbenen
Lamborghini zu. Björn riß die Tür auf.
»Haben Sie das gesehen?« sprudelte es nur so über
die bleichen Lippen Carmen de Silvas. Wild hingen die Haare in ihre
Stirn und bedeckten ihre Augen. Hektisch gestikulierte sie mit ihren
Händen. »Das Wesen – groß wie ein Berg –
ein Phantom – hat sich hinter dem Haus gezeigt… und dann
hat es zugegriffen und das Haus geholt, so muß es bei meinen
Eltern passiert sein, genauso.« Sie zitterte am ganzen
Körper, und es schien ihr gar nicht bewußt zu werden, was
sie alles in diesen Sekunden sprach. Sie stand sichtlich unter einem
Schock. »Bringen Sie mich weg von hier! Bitte, schnell…
ich… kann nicht mehr…«
Sie schwankte.
Björn konnte die junge Frau gerade noch auffangen. Leicht wie
eine Feder lag der schlanke Körper auf seinen Armen.
Ihre kleinen Brüste hoben und senkten sich unter schnellen,
kurzen Atemzügen.
Carmens Augenlider zuckten leise wie
Schmetterlingsflügel.
»Was war das…? Dieses fürchterliche
Wesen?«
Björn richtete seinen Blick auf die Stelle, wo das Haus
verschwunden war.
Er mußte an Al Nafuurs Reaktion denken.
Der unsichtbare Freund hatte noch etwas registriert, aber –
durch welche Umstände auch immer – den gedanklichen Kontakt
nicht mehr aufrechterhalten können.
Die entsetzte Spanierin redete wie in Trance immer wieder von
einem gigantischen Phantom, das das Haus weggenommen hätte.
Wäre sie an eine andere Person als Björn Hellmark geraten,
die würde sie für verrückt gehalten haben.
Björn legte Carmen de Silva vorsichtig auf den
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