Macabros 023: Gefangen im Totenmaar
erkannte, daß der andere das Bewußtsein nicht
völlig verloren hatte. Er schlug ihm leicht auf beide
Wangen.
Czernin wollte etwas sagen. Er fand nicht die rechten Worte und
lallte. Unartikulierte Laute drangen aus seiner Kehle.
»Haben Sie Schmerzen?« fragte Tenner. »Können
Sie stehen?«
Er wollte den Gestürzten aufrichten, schaffte es mit dem
Oberkörper und lehnte Czernin gegen einen Baum.
»Lauf zurück ins Haus und sag Gerauer Bescheid«,
raunte Joachim Tenner seiner Freundin zu und gab ihr mit einem
Kopfnicken zu verstehen, daß sie sich beeilen solle.
Sie lief los und tauchte in der Dunkelheit unter.
Czernins Lippen zuckten. Er hatte die Augen halb geöffnet und
nahm sein Gegenüber verschwommen wahr.
»Entschuldigen Sie!« Endlich zwei deutlich wahrnehmbare
Worte, der andere erholte sich.
»Entschuldigen? Mann, was soll ich entschuldigen? Kann doch
jedem mal passieren. Man trinkt, stößt mit diesem an, mit
jenem und merkt nicht, was man alles schluckt – und dann haut es
einem um. Sie sind nicht der erste.«
Czernin hob die Lider. Seine Augen blickten glanzlos. Nicht mal
das Licht der Sterne spiegelte sich darin. Tenner glaubte, in leere,
ausgebrannte Höhlen zu starren, und es lief ihm eiskalt
über den Rücken. »Es ist… nicht der Alkohol…
junger Freund… es ist… etwas anderes… das
Totenmaar…«
»Totenmaar?« Gegen seinen Willen wiederholte Joachim
Tenner dieses Wort. »Nie davon gehört.«
»Seien Sie froh… junger… Mann!« Czernin
lächelte kränklich.
Sein Atem ging flach, und Tenner wurde es angst und bange. Der
Gedanke, daß dieser Mann da vor ihm möglicherweise aus
irgendeinem unerfindlichen, geheimnisvollen Grund sterben könne,
erfüllte ihn plötzlich mit Panik und machte ihn
nüchtern.
*
Gerauer erfuhr von Czernins Sturz durch Anka, der charmanten
Blondine aus Salzburg, die Tenner mitgebracht hatte.
Der Juwelier, gerade im Gespräch mit einem männlichen
Gast, Rolf Burghardt, einem Reporter einer großen Wiener
Zeitung, machte sich sofort auf den Weg zur Unfallstelle. Burghardt
begleitete Gerauer.
Der Reporter überragte den etwas fülligen Villenbesitzer
um zwei Köpfe, war hager und rank wie eine Tanne. An seinem
Körper gab es kein Gramm Fett zuviel, und Burghardt konnte mit
Stolz und Recht von sich behaupten, daß er das Attribut des
»Rasenden Reporters« wie kein anderer verdiente. Vor seiner
Anstellung in der Redaktion hatte er mit Leidenschaft Sport getrieben
und einem Verein angehört, dem er viele Preise und Ehrungen
einbrachte. Er hatte die hundert Meter in 10,3 geschafft. Dann reizte
ihn der Laufsport nicht mehr, und er hatte sich aufs
Fußballspielen verlegt und den Beweis erbracht, daß ein
guter Läufer auch ein guter Stürmer sein konnte. Gereizt
hatte ihn aber immer journalistische Tätigkeit, und nach vielen
Umwegen war er auch dazu gekommen. Seine Berichte waren interessant
und informativ, und seine Auftraggeber waren zufrieden. Unter einem
Pseudonym schrieb er außerdem für eine Wochenzeitschrift
Artikel, von denen niemand in der Redaktion seines Hausblattes etwas
wußte.
Burghardt mußte sich merklich bremsen, um Gerauer nicht
davonzulaufen.
Sie erreichten die Stelle, wo Tenner noch immer in der Hocke neben
Czernin saß, dem der kalte Schweiß auf der Stirn
perlte.
»Czernin«, sagte Gerauer mit gutmütig klingender
Stimme. »Mann. Sie machen vielleicht Sachen. Sie trinken kaum
etwas und das haut Sie noch um. Sind Sie krank? Müssen wir einen
Arzt rufen? Ist etwas Besonderes mit Ihnen?«
Schwach schüttelte der Gefragte den Kopf. Er war bleich.
»Ein Arzt… nutzt hier nichts… ich habe es geahnt…
seit einiger Zeit schon spüre ich ihre Nähe – sie
haben mich gefunden…«
Die drei Männer blickten sich irritiert an.
Keiner verstand, was Rudi Czernin mit diesen Worten sagen
wollte.
»Violette Berge…«, sagte er plötzlich, und
sein Gesicht verzerrte sich, als leide er unter unsäglichen
Schmerzen. Sein Atem ging stoßweise. »Spitz wie
Nadeln… die glühende Hitze… die Wüste der Toten,
aber das ist nicht alles – das Totenmaar – die
Steine…«
»Ich glaube wir holen doch einen Arzt.« Paul Gerauer war
das Ganze nicht geheuer. Czernin redete wirr und hatte kaum etwas
getrunken. Verlor er den Verstand oder litt er unter
Bewußtseinsstörungen? Nahm er Drogen?
»Joachim«, fuhr der Juwelier fort, sich dem jungen Gast
zuwendend. »Das könntest du für mich
erledigen.«
Wortlos hatte sich inzwischen Rolf
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