Macabros 033: Flucht in den Geistersumpf
Vielleicht heute nicht
mehr, vielleicht auch morgen nicht gleich… aber wir können
einen neuen Versuch unternehmen. Wenn Sie wollen.«
»Wollen? Das ist überhaupt keine Frage, Herr Griever.
Und ob ich will! – Vorsicht… was er wohl damit aussagen
wollte?«
Griever atmete tief durch. »Vielleicht schweben Sie in
Gefahr… vielleicht haben Sie irgend etwas im Sinn, das Sie noch
durchführen wollen.«
»Nicht, daß ich wüßte…«
»Wir werden ihn danach fragen… oder sie… ich
weiß immer noch nicht, wer es ist. Die Stimme nennt keinen
Namen.«
Carel Unstett ging ruhelos im Zimmer auf und ab, während
Griever noch mehrere Male versuchte, die Freunde im Jenseits zu
rufen. Seine Versuche blieben ohne Erfolg.
»Wie mag es dort drüben wohl aussehen, Herr
Griever«, begann Unstett unverhofft. »Ich habe mir schon
oft Gedanken darüber gemacht…«
»Ich habe schon oft welche danach gefragt. Es soll Berge,
Bäume, Flüsse und Bäche geben… der Geist ist
frei… er hat keinen Körper mehr, der ihn umhüllt. Es
gibt keine Krankheiten und keine Schmerzen mehr. Sorgen und Essen und
Trinken existieren nicht. Wo kein Körper ist – braucht man
ihn nicht zu erhalten.«
»Sie schildern das so, als wäre es erstrebenswert, so
schnell wie möglich dort hinüber zugelangen und dieses
Jammertal, in dem wir tagtäglich herumwurzeln, zu verlassen. Da
kommt man ja direkt auf Selbstmordgedanken.«
»Das wäre das Verkehrteste, was man tun könnte! Man
kann eine Stufe nicht überspringen. Hier beginnt eine Existenz,
hier werden Seele und Geist vorbereitet und geformt, und erst wer
reif ist, wird abgerufen. Der Tod muß auf natürliche Weise
eintreten, darf nicht gewalttätig sein. Der Übergang ist
wie eine Verpuppung. Die Raupe spinnt sich ein, und dann kommt eines
Tages der Zeitpunkt, wo die häßliche Hülle
abgestreift wird und ein wunderschöner Schmetterling zum
Vorschein kommt. Ein neues Stadium des Lebens beginnt.«
»Sie hätten Poet werden sollen.«
»Sie werden lachen – aber es gab eine Zeit, da habe ich
meine Gedanken niedergeschrieben, weil niemand da war, mit dem ich
mich hätte unterhalten können. Sobald man ein wenig von der
Norm abweicht, riskiert man, ausgelacht und verspottet zu werden.
Heute macht mir das nichts mehr aus. Ich lege meinen Standpunkt dar
– und dann kann jeder damit machen, was er will. Heute
weiß ich eben mehr.«
»Wir sind uns sehr ähnlich«, murmelte Unstett und
wischte sich über die Augen. »Auch was Ihre
Gedankengänge anbetrifft… ja, eines Tages kommt der
Augenblick, da denkt man tiefer über gewisse Dinge im Leben
nach. Ich habe mir oft die Frage gestellt: wie mag das wirklich sein
– wenn es mal zu Ende geht? Kommt etwas danach – oder
nicht? Ist es nur ein Wunschtraum, eine Sehnsucht? Glauben wir nur
daran, daß es so sein wird, wie wir uns vorstellen – oder
existiert da wirklich etwas? Die Welt als ein Paradies auf der
anderen Seite des Todes?«
»Ja – und nein. Es kommt darauf an, wie man dort ankommt
und warum. Ich sagte es schon: wer einen gewaltsamen Tod erleidet
– sei er nun durch Mord, Selbstmord oder Unfall
herbeigeführt – wird es schwer haben. Sie kommen
drüben an – und begreifen im ersten Augenblick ihren Tod
nicht! Sie sind der Meinung, noch am Leben zu sein. Es kommt zu
schweren Verwicklungen für den Neuankömmling. In den
meisten Fällen ist es so, daß diese Menschen auf einer
niederen Entwicklungsstufe stehenbleiben oder noch mal eine Chance
durch eine Wiedergeburt erhalten, in der sie ihren neuen Geist, ihre
neue Seele zur Vollendung führen können. Das alles ist zu
kompliziert. Ich habe es mir aus dem, was ich gehört habe,
zurechtgelegt. Ob es stimmt, weiß ich nicht. Die Welt der Toten
ist noch lange nicht erforscht. Wir, die wir auf dieser Seite stehen
und über das, was sein wird, nachdenken, haben erst angefangen,
die Verbindung aufzunehmen. Aber es scheint, als wolle man uns gar
nicht alles mitteilen, als sei dies gar nicht wichtig für
uns…«
»Und doch interessiert es mich. Ich gäbe was darum,
könnte ich einen Blick hinüberwerfen und mit dem Geschauten
zurückkehren«, sagte Carel Unstett verträumt.
Als er so sprach, blickte Frank Griever ihn merkwürdig an.
Aber das sah er nicht…
*
Er packte das Gerät zusammen.
Gemeinsam mit seinem Besucher ging Unstett hinunter in den
Speiseraum. Der Okkultforscher lud Griever zum Essen ein. Aber der
Besucher lehnte dankend ab.
»Ein andermal gern, Herr Unstett,
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