Macabros 035: Mirakel, Mann der Geheimnisse
war
gut so.
Wäre jemand ganz dicht an ihn herangekommen, würde er
sich zu Tode erschreckt haben.
Das Gesicht war flach und dunkelgrau. Zwei große,
hervorquellende Augen und ein breites, fischartiges Maul waren die
einzigen Sinnesorgane, die das furchteinflößende Antlitz
aufwies.
Dieser Mann war kein Mensch.
Er stammte von einer anderen Welt.
*
Frank Morell näherte sich der breiten Sandsteintreppe, die
zwischen zwei verwitterten Säulen auf eine mit Schiefern
überdachte Terrasse hinaufführte.
Auf der obersten Stufe saß eine ausgewachsene
Bernhardinerhündin.
Sie rührte sich nicht von der Stelle, als der späte
Besucher auftauchte.
Aus großen braunen Augen blickte sie ihn an und hob ein
wenig ihre mächtigen Ohren. Ein dumpfes, gefährliches
Knurren kam aus ihrer Kehle, als wolle sie den Mann warnen und sagen:
›Bis hierher, mein Freund, und keinen Schritt weiter! Sonst
ergeht es dir schlecht!‹
Morell blieb auf der untersten Stufe stehen, als, das große
Tier sich erhob.
Die hohe Eichentür, die ins Haus führte, wurde
geöffnet.
»Zurück, Cora!« sagte eine ruhige, angenehme Stimme
sehr deutlich und bestimmend.
Dr. Kurt Felkmann stand auf der Schwelle. Er war untersetzt, trug
eine helle Hose und ein blaugraues, dezent gemustertes Sporthemd mit
einer großen aufgesetzten Brusttasche und kurzen Ärmeln.
Im linken Mundwinkel des Psychiaters klebte ein Zigarillo.
Die Bernhardinerhündin baute sich neben ihrem Herrn auf und
blickte dem Ankömmling, der die Stufen hochkam, interessiert
entgegen.
Felkmanns Rechte lag auf dem Nacken des Großhundes, den der
Psychiater mechanisch kraulte.
Der Hausbesitzer nahm seinen duftenden Zigarillo von den Lippen
und meinte: »Großartig, Herr Morell! Das letzte Mal
mußten wir Sie noch mit dem Rollstuhl über eine Rampe auf
der anderen Seite der Terrasse ins Haus fahren – jetzt
marschieren Sie die Treppe hoch, als wäre nie etwas
gewesen.«
Morell lächelte schmerzlich. »Dafür hätte
diesmal nicht mehr viel gefehlt, und ich wäre im Sarg
angeliefert worden.« Er konnte sich diese makabre Bemerkung
nicht verkneifen.
Felkmann nickte ernst. »Sie deuteten da schon etwas am
Telefon an. Sie müssen mir mehr erzählen. Das ist ja
ungeheuerlich.«
Der Psychiater streckte dem Besucher die Hand entgegen, die dieser
ergriff. Felkmann führte seinen Gast ins Haus.
»Und du bleibst hier«, redete er die Hündin an, die
hinter ihnen hertrottete. »Genieß’ die frische
Abendluft! Möchte bloß wissen, was du ständig im Haus
willst.«
Die Hündin blickte ihn aus großen Augen vorwurfsvoll
an, als hätte sie jedes Wort verstanden.
Sie wedelte mit dem Schwanz und gab ein leises Jaulen von
sich.
»Nein, du brauchst gar nicht zu betteln. Mich stimmst du
nicht um. Vielleicht heute abend. Aber jetzt hab’ ich einen
Gast, um den muß ich mich kümmern. Da habe ich sowieso
keine Zeit für dich.«
Die Hündin drehte sich um.
»Außerdem hab’ ich dich angeschafft, damit du Haus
und Garten bewachst und nicht die Gespräche belauschst, die ich
mit meinen Patienten führe. Geh raus und paß auf den
Garten auf, damit niemand ihn klaut!«
Er drückte die Tür ins Schloß und drehte den
Schlüssel um. Es knackte laut und vernehmlich. »Wenn man so
ein Vieh im Haus hat, fängt man an, sich komisch zu
benehmen«, sagte er, als müsse er sich für sein
Verhalten entschuldigen. »Aber das alte Mädchen versteht
tatsächlich, was ich ihr sage. Manchmal rede ich mit ihr wie mit
einem Menschen. Liegt wohl daran, daß ich den rechten Zeitpunkt
versäumt habe, mir ’ne Familie zuzulegen. Und jetzt bin ich
zu alt.«
Er hatte die fünfzig knapp überschritten. Das aber sah
man ihm nicht an. Mit elastischen, kraftvollen Schritten bewegte er
sich neben Morell her, der Mühe hatte mitzukommen. Von seinem
Gehfehler nahm man kaum noch etwas wahr. Frank Morell bewegte sich,
als hätte er sich das eine Bein verstaucht.
»Ich muß sogar abschließen«, nahm Felkmann
noch mal den Faden auf. »Ob Sie’s glauben oder nicht: die
Hündin bringt es tatsächlich fertig, auszuprobieren, ob die
Tür auch wirklich verschlossen ist. Ist das nämlich nicht
der Fall, dann legt sie ihren massigen Schädel einfach auf die
Klinke und öffnet…«
Frank mußte leise lachen. Felkmann machte einen etwas
hilflosen Eindruck, als er von seinen Problemen erzählte.
Sie gingen zum anderen Ende des Korridors, und der Hypnotiseur
forderte Morell auf, ihm näheres über den Unfall
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