Macabros 044: Mirakel - Herr im Geisterland
vereitelt, daß sie
runterkam von ihrem Gewicht.
Bogner, der wußte, wie schwer es der hübschen Kollegin
fiel, mal hart zu sein, ließ ab von seinen Versuchen und
knüllte die Zeitung zusammen, in der das mit Butterbrotpapier
eingewickelte Frühstück zusätzlich umwickelt gewesen
war.
Neben dem Papierkorb saß Frank Morell. Er trank eine Tasse
Kaffee. Alexandra Becker stand neben ihm, mit dem Rücken zum
Fenster, und blätterte in einer französischen
Modezeitschrift. Alexandra Becker entnahm diesen Zeitschriften immer
wieder Anregungen für sich selbst. Ihr liebstes Hobby war die
Schneiderei. Alles, was sie trug, hatte sie selbst angefertigt, und
es besaß Chic.
Morell trug im Büro immer eine Brille, die er auch dann nicht
abnahm, wenn er seine Arbeit kurzfristig unterbrach.
Hans Bogner plauderte munter von seinen Wochenendplänen. Ihm,
dem begeisterten Filmamateur, spukte eine neue Idee im Kopf herum,
und er brauchte noch einige Akteure. Er lud seine Kollegen zu sich
nach Hause ein. In der Dreizimmerwohnung drüben in Sachsenhausen
hatte er zwei Räume studiomäßig eingerichtet. Schon
aus diesem Grund – so meinte Bogner immer – käme eine
Heirat für ihn überhaupt nicht in Frage. Wohnzimmer und
Kinderzimmer müßten vorerst noch eingespart werden.
»Die Einladung kommt reichlich spät«, bemerkte
Petra, das Magazin zusammenklappend. »Ich hab Samstag schon was
vor. Wenn du’s auf nächste Woche verschieben würdest,
wäre mir’s recht. Dann komm ich recht gern.«
»Ich wollte es diese Woche über die Bühne
bringen.«
»Warum triffst du deine Entscheidungen immer so
spät?«
»Mir ist erst in der letzten Nacht diese Szene eingefallen.
Da läßt sich was draus machen. Besitzt du einen netten
Baby Doll?«
»Sogar fünf, wenn du willst. Aber seit wann drehst du
Sexfilme?«
Hans Bogner grinste. »Das wird kein Sexfilm. Ich will
’ne Traumszene realisieren. Dann brauch ich dazu noch ein paar
Statisten. Petra, Frank – wie sieht’s mit euch
aus?«
»Ich hab noch nichts vor«, sagte Petra Veiten.
»Ich auch nicht«, bemerkte Morell. »Ich bin
Spezialist für Traumdarstellungen. Soll ich an der Windmaschine
stehen, während Alexandra traumwandlerisch im Baby Doll
über Dachgiebel spaziert? Du mußt mir dann nur noch sagen,
wie stark geblasen werden soll, um das Oberteil in die Luft zu
wehen.«
Es ging munter zu. Alexandra erklärte sich dazu bereit,
über den Termin am kommenden Samstag doch nochmal
nachzudenken.
Bogner war bekannt dafür, daß er Freunde, Bekannte und
Verwandte einspannte, um die selbstgebastelten Drehbücher zu
realisieren. In seinem Archiv befanden sich schon eine ganze Reihe
ansehnlicher kleiner Spielfilme, die geschickt gemacht waren.
Alexandra lächelte Frank zu. Sie mochte diesen
dunkelhaarigen, oft so verträumt wirkenden Menschen, der
manchmal mit seinen Gedanken ganz woanders zu sein schien, selbst
wenn er sich mit einem unterhielt.
Morell war genau der Typ Mann, den sie bevorzugte, der ihr gefiel.
Morell machte jeden Spaß mit, ohne seine eigene
Persönlichkeit dabei aufzugeben.
Sie redeten noch immer über Bogners Filmpläne, die er
doch nun nach und nach preisgab, als Franks Blick zufällig auf
die Zeitungsseite fiel, die Bogner in den Papierkorb geworfen
hatte.
Morell stutzte.
Er sah die Balkenüberschrift und Teile von Bildern, die das
Innere von Kathedralen, Burgen oder Schlössern zeigten…
Ein Bildausschnitt ließ ihn wie elektrisiert zusammenzucken.
Keiner seiner Kollegen merkte das leichte Erschrecken.
Frank griff in den Papierkorb.
Er zeigte sich verwundert, als er das Blatt auseinanderfaltete und
glättete: »Geisterburgen und -Schlösser gestern und
heute«, las er halblaut vor. »Warum unterschlägst du
mir so etwas, Hans?«
Frank war bekannt dafür, daß er okkultes Schriftgut
sammelte und sich außerordentlich stark für parapsychische
und außersinnliche Phänomene interessierte.
»Jetzt sind wir schon wieder bei einem anderen
Lieblingsthema«, seufzte Alexandra. Sie richtete ihre hellblauen
Augen empor und verdrehte sie. »Mir scheint, wir sollten eine
Eingabe machen, damit unsere Chefs die Pausen verlängern. Nur so
kommt jeder zu seinem Recht. Ich wollte euch noch etwas über die
neue Nähmaschine erzählen, die ich mir letzte Woche gekauft
habe… aber jetzt bist du ja erst dran, Frank. Mach’s
kurz…«
Morell breitete die Seite auf dem Tisch aus. Es handelte sich um
einen alten Bericht aus einem Wochenblatt. Das Erscheinungsdatum
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