Macabros 079: Die Nachtseelen von Zoor
Nachtseelen
hatte er vom vampirischen Leben gesprochen.
Menschen wurden zu Nachtseelen, zu einer Art Vampire, wenn sie
einer bestimmten Spezies aus dem Reich des wahnsinnigen Nh’or
Thruu begegneten: diese Spezies war über eine bestimmte
Brücke, die einst Shab-Sodd bediente, in die sichtbare,
dreidimensionale Welt geraten.
»Ich glaube, ich weiß, wie alles gekommen ist«,
fuhr Richard Patrick unvermittelt zu sprechen fort. Er wirkte immer
noch bleich. Seine Augen hatten einen fiebrigen Glanz. »Der
Hausherr ist ausgeflogen. Doch alles spricht dafür, daß er
wieder zurückkommt. Der Sarg bietet ihm Sicherheit. Im
Arbeitszimmer Nevieux’ gibt es ein Tagebuch von der letzten
Reise, die er gemeinsam mit einem gewissen Gaston Belmond unternommen
hat. Das ist der berühmte Besitzer der nicht minder
berühmten Weinfelder… Schau dir das Tagebuch an! Dort
findest du alles beantwortet, was dich jetzt noch an Fragen
beschäftigt…«
Er folgte Richard Patrick in Nevieux’ Arbeitszimmer.
Der Begriff ’Arbeitszimmer’ bezeichnete diesen Raum
nicht ganz genau.
Björn Hellmark empfand ihn mehr als eine Art Bibliothek, wo
im Regal, das eine ganze Wand einnahm, hauptsächlich Kunst- und
Bildbände großer französischer Verlage standen.
Direkt vor dem Fenster befand sich ein kleiner Schreibtisch,
dessen Schubladen offen standen. Patrick hatte sie sich bereits
vorgenommen. Mehrere fein säuberlich angelegte Tagebücher
befanden sich darin.
Jedes einzelne trug eine Jahreszahl.
Das letzte in der Reihe lag aufgeschlagen mitten auf der
Tischplatte.
Hellmark begann darin zu blättern. Die knappen Eintragungen
waren mit schwarzer Tinte erfolgt, die Texte zum Teil aufgelockert
mit kleinformatigen Fotos, die Nevieux nachträglich eingeklebt
hatte.
Ausführlich war der Beginn der Reise mit dem Ehepaar Belmond
geschildert. Die einzelnen Stationen waren genau aufgeführt.
Eine ganze Seite wurde von einer Karte eingenommen, in die noch mal
durch rote Kreise die Stationen gekennzeichnet waren, an denen die
private Forschungsgruppe Rast machte oder ihr Lager aufschlug.
Es gab Fotos von den drei Teilnehmern und den Trägern, die
die Expedition begleiteten.
Er sah die Bilder von verstaubten, armseligen Dörfern am
Wegrande. Vor den stroh- und blättergedeckten
Dschungelhütten, die versteckt mitten im Busch standen,
drängten sich scheue Eingeborene.
Der letzte Rastplatz der Gruppe lag fünfzig Meilen
südlich von Modongo, einem winzigen Dschungeldorf, entfernt.
Dort hatte Albert Nevieux die Ruine fotografiert.
Das Foto befand sich ebenfalls in seinem Tagebuch!
Hellmark war wie elektrisiert.
Deutlich erkannte er einen der abgebrochenen Türme der
Zitadelle. Der Torbogen daneben war voll erhalten und führte in
unbekannte, schummrige Dunkelheit.
Zu erkennen waren außerdem einige große Steinquader,
die bizarr verschoben aus einer Wand ragten und aussahen wie eine
Treppe, die in einen dahinter liegenden Raum führte.
Wenn man nur die Fotografie sah, war es schlecht möglich den
Umfang der Ruine zu schätzen.
Daß es ein gewaltiger Brocken war, der dort mitten im Busch
förmlich aus dem Nichts herausgewachsen war - dies jedoch war
anzunehmen.
Der Gedanke daran, daß es möglicherweise auf der Welt
noch mehr solcher Ruinenreste gab, bedrückte Hellmark. Aber
bisher war außer den Vorgängen hier in Paris offenbar noch
nichts geschehen, was mit den Unheimlichen aus einer anderen
mikroskopisch kleinen Welt in Zusammenhang gebracht wurde. Und hier
in der dritten Dimension des Diesseits nahmen sie die
Größe an, wie es im richtigen Verhältnis zu ihnen und
dieser Welt stand.
Keinen Zweifel daran gab es, daß die drei Menschen, die an
dieser privaten Forschungsreise in den afrikanischen Busch
teilnahmen, vom Zeitpunkt der Entdeckung der Ruine Veränderte
waren.
Das schlug sich auch in Albert Nevieuxs Texten nieder.
Unmittelbar nach dem gespenstischen Fund war der Aufbruch der
kleinen Truppe erfolgt. Unter den nachfolgenden Datumsangaben standen
nur noch einzelnen Sätze wie: ›Wir sind aufgebrochen‹.
›Wir sind in Modongo angekommen‹. Drei Tage später:
›Ankunft in Paris. Ich muß dafür sorgen, daß
ich abgesichert bin…‹ Was meinte er damit?
Mit der Ankunft in Paris endeten die Eintragungen.
Mit keinem Wort erwähnte Albert Nevieux irgendwelche
Sonderheiten oder Ereignisse, die eventuell im Zusammenhang mit der
Ruine der Zitadelle standen.
Mit keinem Wort wurde auch die Kontaktaufnahme Pierre Yves
Bayonnes
Weitere Kostenlose Bücher