Macabros 081: Wrack der namenlosen Götter
Wurde
sie tiefgefroren? Befand sie sich in einem Labor?
Die rötlich schimmernden Flecke waren in tanzender,
kreisender Bewegung. Sie sahen aus wie Lampen, die jemand über
ihr eingeschaltet hatte.
Eine – Operation? Seltsam, daß sie gerade daran denken
mußte…
Arson… zuckte der nächste Gedanke in ihr auf. Mit ihm
stimmte etwas nicht… er war als alter Mann zu ihnen
zurückgekommen, als wäre er ein halbes Jahrhundert lang
durch die fremde Welt des Mikrokosmos geirrt.
Und dann wieder sein junges, vertrautes Gesicht! Hatte Arson sie
hierher gebracht? Wo war er jetzt? Warum kümmerte er sich nicht
mehr um sie?
In ihr hallte es, daß sie meinte, in einem endlosen Raum zu
sein und einsam und verloren mitten drin zu liegen.
Langsam war sie wieder fähig, ihre Gedanken zu ordnen und zu
erkennen, daß ihre Wachperioden länger dauerte.
Sie sehnte sich nach Geborgenheit, nach Björns Nähe, und
der Gedanke an ihn war verbunden mit Ratlosigkeit und Grauen.
War er auch hier? Hatten sie ihn gefunden?
Carminia erinnerte sich an ihre Flucht vor dem Insektenmenschen
Sephoos. Hatte er sie schließlich doch in seine Gewalt bringen
können?
Etwas Schimmerndes senkte sich auf sie herab. Es war warm und
glitschig und preßte sich wie eine Saugglocke auf ihr
Gesicht.
»Gleich ist es vollbracht«, sagte eine kühle,
unpersönliche Stimme hohntriefend. »Es wird eine Freude
für ihn sein, wenn du zu ihm zurückkehren
wirst…«
Es war die Stimme Nh’or Thruus, des Irren von Zoor.
Sie befand sich also in seiner Gewalt?!
Was hatten seine Worte zu bedeuten?
Carminia Brado war noch nicht so bei Kräften und
Bewußtsein, daß sie sich diese Frage aus eigenem Antrieb
und eigener Erkenntnis hätte beantworten können.
Das Dunkle, Feuchte löste sich von ihrem Gesicht. Der
Ausschnitt vor ihr wurde heller.
Ein Spiegel, direkt über ihr?
Sie riß die Augen weit auf – und aus der trüben
Luft über ihr schälte sich ein Gesicht, das sich genau
über sie beugte.
Es war das Antlitz einer uralten Frau mit schneeweißen,
strähnigen Haaren und einer fahl-braunen Gesichtshaut, in der
die kleinen Augen glanzlos wie schwarze Punkte wirkten.
Wer war das? Wie kam die alte Frau hierher und…
Carminia Brado sträubten sich die Haare, als sie die
schreckliche Gewißheit ahnte.
Wem sie da ins Gesicht sah, das war sie selbst!
*
Die Brasilianerin wollte schreien, konnte aber nicht. Ihre
Stimmbänder versagten den Dienst.
Sie riß den Mund auf und registrierte im gleichen
Augenblick, daß das Gesicht über ihr schmale,
zusammengekniffene Lippen hatte, die einen dünnen, harten Strich
darstellten.
Höhnisches Lachen brach aus allen Richtungen los.
Carminia wurde damit überschüttet.
Dies alles ereignete sich in ein und demselben Moment.
Es war wie eine kalte Dusche und ein Peitschenschlag
gleichzeitig.
Sie war um ein Jahrhundert gealtert – und konnte es doch
nicht sein. Das Gesicht im Spiegel über ihr verhielt sich anders
als die Reaktion, die auf ihrem Antlitz entstand und die sich
eigentlich hätte zeigen müssen.
Die grauenvolle Angst war nur vergleichbar mit der Todesangst, die
ein Mensch empfindet, der keinen Ausweg mehr sieht.
Für den Bruchteil einer Sekunde strömten
übermenschliche Kräfte durch sie und brachten sie dazu,
sich blitzschnell und ruckartig zu erheben.
Das Gesicht vor ihr wich zurück – es gehörte zu
einer Frau, die ihre Kleidung trug, die sie selbst und doch nicht
war!
Carminia Brado überlegte nicht, sie handelte einfach und
mußte feststellen, daß sie die ganze Zeit über keine
Fesseln getragen hatte, daß sie Arme und Beine frei bewegen
konnte.
Wie elektrisiert stand sie plötzlich auf den Beinen und
wußte nicht, wie sie Boden unter die Füße bekam.
Die uralte Frau, die sie selbst war, lachte wie irr und
umtänzelte sie mit roboterhaften Bewegungen.
Carminia taumelte und fühlte sich schwach auf den Beinen. Nur
ihre Willenskraft hielt sie aufrecht.
Zum ersten Mal seit ihrer Ankunft in dieser Ebene unter der Erde
sah sie ihre Umgebung so, wie sie wirklich war, unbeeinflußt
von dem Gift, das ihre Sinne betäubt hatte.
Sie befand sich in einem riesigen Saal, der Ähnlichkeit mit
der Fertigungshalle einer Fabrik hatte. Dunkle, wie lackiert
aussehende Buckel ragten aus dem Boden und waren untereinander
verbunden durch dicke Stränge, die aussahen wie geflochtene
Zöpfe aus schwarzer Erde. Zwischen den Buckeln liefen endlos
weite und enge Gassen, in denen rötliches Licht
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