Macabros 087: Myriadus, der Tausendfaltige
Hestuus?«
»Ich weiß nicht mal das… so wenig mitteilsam wie
mit der Höhle hat Jim sich noch nie verhalten. Ich habe kein
gutes Gefühl, Björn…«
»Ich auch nicht, Pepe, da ist etwas faul. Wenn wir wenigstens
einen Anhaltspunkt hätten.«
*
Er war selbst überrascht, als er das Gebüsch
auseinanderdrückte.
Zwischen den Blättern erschien ein
furchteinflößendes Antlitz.
Es war kugelrund, wies zwei große, runde Augen auf, ein
breites, zähnestarrendes Maul, das aussah, als würde es
grinsen. Auf dem kahlen Kopf wuchs ein hornartiger Kamm bis tief in
den Nacken.
Das war Jim, Sohn einer menschlichen Mutter und eines
dämonischen Vaters.
Wer Jim so sah, wäre zu Tod erschrocken. Sein
Äußeres widersprach allen Normen.
Er wußte selbst nicht, wo er sich befand.
Er hatte sich ganz auf die Lage und das Aussehen jener Höhle
konzentriert, die er seit Tagen vor seinem geistigen Auge sah. Und
von Tag zu Tag hatte sich der Eindruck verstärkt, waren die
Konturen schärfer geworden.
Für ihn hatte schließlich nicht mehr der geringste
Zweifel daran bestanden, daß er auf Anhieb dort ankommen
würde, wohin er wollte.
Aber dies hier war alles andere als das Innere einer Höhle.
Er war mitten in unbekanntem Dschungel gelandet.
Das Kreischen fremdartiger Vögel, die typischen
Geräusche der Wildnis, die Tag und Nacht die gleichen blieben,
umgaben ihn. Äste und Zweige knackten, Affen und Papageien
schrien um die Wette, durchs Unterholz lief ein Tier, das Jim nur
flüchtig wahrnahm.
In welchem Urwald befand er sich?
Bedachtsam löste sich der junge Guuf, der bei Björn
Hellmark, dem Herrn von Marlos, eine neue Heimat gefunden hatte, von
der Stelle, an der er angekommen war.
Er blickte aufmerksam in die Runde und kämpfte sich mit
bloßen Händen durch das hüfthoch stehende Gras und
Gestrüpp.
Der Boden unter seinen Füßen war
verhältnismäßig eben, und unweit von seiner
Ankunftsstelle plätscherte Wasser. Offenbar eine Quelle oder ein
kleiner Bach.
Die Baumriesen, die ihn umgaben, standen so dicht, daß ihre
Wipfel einander berührten und ein undurchdringliches
Blätterdach über ihm bildeten.
Dem Sonnenstand nach zu urteilen war es Nachmittag. Das
Tagesgestirn stand hoch am Himmel. Dennoch herrschte hier in der
tropischen Wildnis stetige Dämmerung.
Jim ging Schritt für Schritt weiter und war auf der Hut. Beim
Auftreten einer Gefahr konnte er sich sofort nach Marlos
zurückversetzen. Obwohl er, um seinen Zielort genau zu treffen,
durch den Geistspiegel des Hestuus gekommen war, konnte er von hier
aus jederzeit nach Marlos zurück, auch wenn sein
augenblicklicher Aufenthaltsort ihm nicht bekannt war.
Um anzukommen, war der Zielpunkt nötig – und den kannte
er schließlich genau.
Da mußte etwas schiefgegangen sein. Jim hatte keine
Erklärung dafür, wieso er in der Wildnis saß, obwohl
er doch in eine Höhle gewollt hatte. Hier war weit und breit
nichts von einer solchen zu sehen.
Ganz sinnlos jedoch konnte diese seltsame Reise nicht sein. Der
Endpunkt einer Teleportation durch den Geistspiegel war immer
bedeutsam im Zusammenhang mit Dämonen und bösen Geistern
aus der schwarzen Welt Rha-Ta-N’mys. Jedes Segment führte
an eine Stelle in der Welt, die gewissermaßen ein wichtiger
›strategischer‹ Punkt im Plan der Dämonen noch
darstellte oder vor undenkbar langer Zeit gewesen war.
Jim blieb stehen. Es war also sinnlos weiter zu gehen und
wichtiger, jene Stelle zu untersuchen, an der er angekommen war.
Er wandte sich um und wollte zurückgehen, als er stutzig
wurde.
Er hörte ein Geräusch.
Dumpfes, leises Trommeln, das rasch lauter wurde.
Es kam aus der Nähe!
Jim hielt den Atem an.
Monotoner Gesang mischte sich unter das Trommelgeräusch.
Füße stampften auf dem Boden. Die Vögel in der
Nähe flogen erschreckt auf und stellten ihren Gesang ein. Sogar
die kreischenden Papageien und Affen verstummten.
Der Kugelkopf bahnte sich einen Weg durch die wildwuchernde
Pflanzenwelt und lief in Richtung des Lärms.
Im mannshohen Buschwerk blieb er geschützt stehen, als er
flackernden Feuerschein und hüpfende Schatten wahrnahm.
Hinter den Büschen befand sich eine Lichtung.
An ihrem Rand standen – halb von überhängenden
Lianen und schmarotzenden Pflanzen bewachsen – strohgedeckte
Hütten.
Ein Eingeborenendorf.
Etwa zehn schwarze Gestalten – ausschließlich
Männer – umtanzten zwei Totempfähle, an denen
Gefangene gefesselt waren. Es handelte sich um einen Mann und
Weitere Kostenlose Bücher