Macabros 087: Myriadus, der Tausendfaltige
aufgerissen.
Ein dumpfes Gurgeln brach aus ihrer Kehle, als sie sekundenlang
stand, beide Hände um den glitschigen Fischleib gelegt, aber
unfähig, ihn von sich zu reißen und fortzuwerfen.
Die Frau machte auf dem Absatz kehrt, als der Zeitungsleser wie
von einer Tarantel gebissen in die Höhe schnellte.
»Was soll das? Wer sind Sie? Was wollen Sie in meinem
Haus?« Der Marokkaner lief völlig verwirrt auf die
Eingedrungene zu.
Die verschwand in der dunklen Seitennische. Dort führten
Stufen nach oben und nach unten in den kühlen, finsteren Keller.
Die klapprige Holztür war mit einem einzigen Ruck
geöffnet.
Nicht mehr die Frau schien zu handeln, sondern der unheimliche
Fisch, der inzwischen seine Pendelbewegung eingestellt hatte und so
eng an ihrem Körper lag, als wäre er in der Zwischenzeit
angewachsen.
Ein Verfolger, der Zeuge des Dramas geworden war, ebenfalls ein
Deutscher, und der kleine Junge, der die Welt nicht mehr begreift,
tauchten im schattigen Innenhof des weißen Hauses auf.
Der Besitzer lief zuerst in den Keller, die anderen folgten und
wollten der Frau helfen.
Ahmid Hassuk sah die hellhäutige Gestalt im langen Korridor
des Kellers verschwinden.
»So bleiben Sie doch stehen, Madame!« rief er hinter ihr
her, daß es laut durch die kahlen Räume hallte.
Spinngeweb hing von der Decke, große, schwarze Käfer
und anderes Ungeziefer liefen über die gekalkten Wände, in
denen Hunderte kleine Löcher und Risse waren, geeignete
Verstecke für diese Lebewesen.
Gleich hinter Hassuk kam der Deutsche, Peter Legrell, und dann
folgte Hassan, der Fischerjunge, der Ahmid Hassuk kannte und dem er
alles erklären zu können hoffte.
Der Hausbesitzer erreichte atemlos das Ende des Korridors. Links
und rechts befanden sich zwei Nischen. Die eine führte tief in
die Wand hinein und stellte schon mehr eine kleine, hohe Kammer dar.
In ihr lagen mehrere Kisten und Kasten aufeinander. Welchem Zweck sie
dienten und weshalb Hassuk sie aufhob, wußte der wahrscheinlich
selbst nicht.
Der Mann knipste den Lichtschalter an. Eine Birne an der Decke
spendete schwaches, gelbliches Licht.
»Madame, wo sind Sie? So kommen Sie doch heraus?!«
Hassuk blickte sich verwirrt um.
Legrell tauchte hinter ihm auf.
»Was geht hier vor? Was hat das alles zu bedeuten?«
fragte der Marokkaner.
»Ich kann es dir erklären, Ahmid«, schaltete sich
der Fischerjunge ein. »Angefangen hat es damit, daß ein
Fisch aus meinem Karren rutschte.« Er sprach seine Geschichte so
schnell herunter, daß Hassuk nur die Hälfte verstand, es
ihm aber zu dumm schien, noch mal zu fragen.
Das Ganze blieb trotz Erklärung ein Rätsel.
Von der Fremden war nicht mehr die Spur zu sehen!
Das verwirrte den Marokkaner noch mehr als die Tatsache, daß
ein toter Fisch an die Kehle der Frau gesprungen war.
»Sie muß doch irgendwo sein. Sie kann sich doch nicht
in Luft aufgelöst haben!«
Er starrte auf den großgewachsenen Fremden, der fast zu
gleicher Zeit wie Hassan in das Haus gelaufen war.
Hassuk schüttelte den Kopf und fuhr sich mit der Hand durch
das wuschelige, dichte Haar.
Die Fremde konnte unbemerkt aus dem Keller nicht entkommen sein.
Bis vor wenigen Sekunden hatte er sie noch gesehen. Hier hinten gab
es keine Tür, die in einen anderen Raum mündete, geschweige
einen Ausgang, der aus dem Haus führte.
Und den Weg retour war sie auch nicht gekommen. Da wäre sie
ihnen in dem schmalen, düsteren Korridor genau in die Arme
gelaufen.
Ratlosigkeit und Verwirrung kennzeichneten das Gesicht des Mannes,
als er damit begann, hastig die Holzkisten auseinander zu zerren. Es
war fast unmöglich, daß die Fremde in der kurzen Zeit in
der Nische verschwand – aber es kam ihm logischer vor als die
Wahrscheinlichkeit, sie könnte überhaupt nicht mehr da
sein.
In der Nische war sie allerdings nicht. Nur Spinnen und Käfer
krabbelten in höchster Erregung nach allen Seiten davon, als sie
so plötzlich mit dem einbrechenden Licht konfrontiert
wurden.
Ahmid Hassuks Kehle entrann ein Stöhnen.
»Sie ist nirgends auffindbar, das ist schon
Hexerei!«
*
Die Sache ließ ihm keine Ruhe.
Er stellte sämtliche Kellerräume auf den Kopf und
durchsuchte sie systematisch bis vor zur nach oben führenden
Treppe.
Der Deutsche verließ achselzuckend das Haus, der
Fischerjunge sah blaß und verstört aus.
Die vielen Käfer, die um seine nackten Füße
krabbelten, störten ihn schon gar nicht mehr. Mit Ratten,
Mäusen und anderem Ungeziefer zu leben,
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